Im Innern ganz Bild und Fassade

■ Andreas Kilb präsentiert seinen „Stanley Kubrick“ im Abaton

Kein Geheimnis mehr um Eyes Wide Shut: Kubricks letzter Film ist nicht der große Hit. „Kubrick langweilt“ (Jungle World). „Eyes Wide Shut wird sich schnell vergessen lassen“ (taz). Die Enttäuschung ist selbstgemacht. Die Megakampagne wegen der 95 Sekunden wegdigitalisierter Erotik war allein auf die prüden USA gemünzt.

Trotz des US-Presse-Gedöns kann man hierzulande mit der Verfilmung von Schnitzlers klassischer „Traumnovelle“ durchaus etwas anfangen. Andreas Kilb, Filmkritiker der Zeit, und andere (Lars-Olav Beier, Rainer Rother) haben ein ultimatives Buch geschrieben (Stanley Kubrick), das den ganzen Kubrick auseinander nimmt und wieder zusammensetzt. Es gibt Jubel, aber auch viel Ärger. Mit anderen Worten: Das Buch geht auf kritische Distanz. Heute wird es sein Herausgeber im Abaton vorstellen. So, wie ich Kilb kenne, wird er dezidiert eine Meinung vertreten, nix da wenn und aber. Doch hinter der Fassade ringt einer mit sich. Was ist dran am Halbflop Eyes Wide Shut? Nein, ja, weiß nicht. Um mitzukriegen, wie spannend dieses Bedenken ist, wird man das empfehlenswerte Buch lesen müssen. Denn möglicherweise sind es gerade Kubricks Defizite, die den Charme seines Werks ausmachen.

Kilb notiert, dass es sowohl dem Regisseur Kubrick als dem Schauspieler Tom Cruise an Talent fehle, wie Schnitzler psychologisch zu erzählen. Kubrick geht's nicht um Lust, wohl aber um Strafe. In der einen Szene vergibt er alle Möglichkeiten der Vorlage, in der anderen inszeniert er ein Meisterwerk. – Was nun, Andreas Kilb? „Kubricks Blick verleiht der Welt, die er sieht, einen Glanz, den die Zeit (!) nicht zerstören kann.“ Das ist ein wunderschönes, vom Überich des Autors Kilb diktiertes Fazit. Denn allen Mäkeleien zum Trotz wird der Zuschauer in Kubricks Filmen emotional .involviert.

Auch Kubricks Angst vor der Sexualität wird deutlich, grade weil Cruises Spiel nichts als Fassade ist. Und weil der Zuschauer nicht ausweichen kann. Etwa indem er eine Geschichte verfolgen möchte. Kubricks Filme verfolgen keine klare Linie, gerade deswegen docken sie im tiefsten Innern des Zuschauers an; sie sind ganz Bild, Film statt lineare Erzählung, und sie können mühelos die Hüllen durchstoßen, mit denen der amerikanische Mythos sich sonst schützt. Das war eine schöne Überraschung für den Zuschauer gewesen, zu registrieren, wie er emotional eingebunden wurde, wenn's es doch nur um den durchgeknallten Dr. Seltsam gegangen war, der es gelernt hatte die Atombombe zu lieben. Gerhard Midding hat in seinem Buchbeitrag aufgedröselt, was genau die Attraktion des „Dr. Seltsam“ – läuft Ende September im Aabton – ausmacht: nicht entrüstet oder faktentreu, sondern unzimperlich und despektierlich wagte sich Kubrick 1963 an das Atombomben-Thema; was er genau erzählte, war minder wichtig.

Dietrich Kuhlbrodt

heute, Eyes Wide Shut (Einführung: Andreas Kilb), 19.30 Uhr

Andreas Kilb u.a., Stanley Kubrick, Bertz Verlag, München 1999, 29, 80 Mark