Zwei-Personen-Bauhaus

Aus dem Atelier befreite Farbtheorien: Das kubistische Künstlerpaar Robert und Sonia Delaunay in der Kunsthalle  ■ Von Hajo Schiff

Immer wenn ein Museum umgebaut oder erweitert wird, freut sich ein anderes: Viele große Ausstellungen der letzten Jahre beruhen auf der Reise von Bildern, die zu Hause doch nur im Depot verschwunden wären. Seit zweieinhalb Jahren wird das Pariser Centre Georges Pompidou renoviert und kurz vor der Wiedereröffnung am symbolträchtigen 1. Januar 2000 kommt auch die Hamburger Kunsthalle in den Genuss einer Bilderverschickung aus der einstigen Hauptstadt der Kunst.

Seit letzter Woche sind in den Räumen der „Galerie der klassischen Moderne“ im Altbau 73 Delaunays zu sehen, davon drei aus dem Besitz der Kunsthalle. Ob farbig zerbrochener Eiffelturm oder leuchtend dekorative Farbkreise: Eine Delaunay-Ausstellung ist sinnvoller Weise ein Doppelpack, denn Robert und Sonia waren gleichberechtigte Künstler-Partner. Direktor Uwe M. Schneede bezeichnet in seinem Vorwort zum Katalog die Symbiose der beiden Künstler als „ein französisches Zwei-Personen-Bauhaus“. Damit umreisst er zudem den gerade in dieser Ausstellung besonders herausgestellten Anspruch, künstlerischen Entdeckungen aus dem Atelier heraus in die Gestaltung des Alltags hineinzutragen.

Will man nicht grundsätzlich alles Design verteufeln, ist an der Bedeutung dieser Klassiker der Moderne nicht zu rütteln: Der Weg von Cézanne-beeinflussten Bildern und fauvistischen frühen Arbeiten zu Modeentwürfen und der raumgreifenden Gestaltung von Pavillons auf der Pariser Weltausstellung ist auch in der Kunsthalle gut nachvollziehbar.

Die aus reichem ukrainischem Hause stammende Sonia verwendet schon 1909 traditionell russische Bildstickerei für eine abstrakte Blätterstudie, 1911 näht sie zur Geburt des ersten Sohnes ein Patchwork aus starkfarbigen Stoffstücken: Erinnerungen an die Arbeit russischer Bauern verwandeln sich zu einem kubistischen Gestaltungskonzept, das sie bis zur Bemalung von Autos oder einem eigenen Modesalon über Jahrzehnte beschäftigen wird.

Beide Delaunays sind fasziniert von der neuesten Technik und der Geschwindigkeit, sie wollen in futuristischer Manier die Simultanität und das Licht abbilden, gleich ob von der Sonne oder elektrisch. Und sie suchen das öffentliche Sujet, das, wie Robert sich äußerte, „Zerbrechen der Fruchtschale der Kubisten“: Empfinden sie das Abtasten von Atelierutensilien, wie es mit Cézannes Äpfeln begann, bereits als akademisch, gilt ihr Interesse vornehmlich dem Blick aus dem Fenster und der Dynamik öffentlicher Räume. Der Eiffelturm wird zum Symbol: Befreundete Dichter wie Blaise Cendrars und Guillaume Apollinaire preisen ihn in Worten und in Robert Delauney findet er seinen größten Maler.

Und der bringt schneller als alle anderen seine Bilder auch nach Deutschland: 1911 wird er zur ersten Ausstellung des „Blauen Reiters“ in München eingeladen, ein Jahr später in der Berliner Galerie „Der Sturm“ ausgestellt. August Macke und Franz Marc lassen sich von seinen Ideen beeinflussen.

Seltsam mutet in dieser Entwicklung das Bild „Der Kuss“ von 1922 an: Der bunte Ausschnitt zweier Gesichter wirkt heute wie ein Pop-Art-Bild, was allerdings seiner damals geplanten Verwendung für eine Ballettausstattung geschuldet ist. Auch 1927 gibt es für Robert noch mal eine Rücckehr aus der Abstraktion: Im Bildnis der befreundeten Madame Heim ist als reflexives Element der realistischste Bildteil ein über die Schulter gelegtes, simultanistisches Tuch von Ehefrau Sonia.

Wie Skizzen und Fotodokumente belegen, wird die Zusammenarbeit der beiden gekrönt von der Gestaltung zweier Pavillons auf der Pariser Weltausstellung von 1937. Vielleicht ist ja tatsächlich die Architekturgestaltung das logische Ergebnis einer aus dem Atelier und dem Bild befreiten Farbtheorie. Le Corbusier, als Verfechter sparsamer Farbsetzungen nicht gerade verdächtig, übermäßig enthusiastisch zu sein, äußert sich in einem Brief im Dezember des gleichen Jahres jedenfalls äusserst beeindruckt über solche Farbarchitektur. Robert Delaunay stirbt bereits 1941, der gleichaltrigen Sonia bleiben noch 38 Jahre für Bilder und Design.

 Hamburger Kunsthalle, Galerie der klassischen Moderne, bis zum 21. November, Katalog mit kunsthistorischen Essays und Originaltexten der Künstler: Verlag DuMont, 224 S., 39 Mark