La Dolce Stacy Valentine

■ Fünf Tage lang bot das Filmfest Oldenburg trotz chaotischer Organisation süßes Kinoleben zwischen US-Außenseitern und Dokumentarfilmen über die Pornoindustrie

Ein Filmfest, bei dem sich eine Pornoqueen zum Maskottchen entwickelt, kann nicht ganz schlecht sein. Stacy Valentine war eigentlich nur nach Oldenburg gekommen, um den Dokumentarfilm „The Girl next Door“ vorzustellen, der sich um ihre Vita dreht. Aber bald schienen alle Filmemacher sie in ihr Herz geschlossen zu haben, und so war sie als eine Art Glücksbringer bei den unterschiedlichsten Vorführungen und Festivitäten dabei. Ein deutscher Filmemacher (über dessen Werk wir besser kein Wort verlieren) schleppte sie vor eine Fernsehkamera und fragte sie nach seinem Film aus (sie spricht natürlich kein Wort deutsch!). Und ein amerikanischer Jungfilmer (dessen Werk noch gebührend gelobt wird) ließ gar das Publikum zehn Minuten im Kino warten, nur weil Stacy noch nicht da war.

Aber so familiär ging es zu beim „6. int. Filmfest Oldenburg“. Und die sehr legere Art, wie hier die Filmemacher aufeinander und auf das Publikum zugingen, gehörte zu seinen Pluspunkten. Da verzieh man sogar die zum Teil katastrophale Organisation: ständig wurden Spielstätten gewechselt, fielen Vorführungen aus, stand man dumm herum, weil kaum einer wusste, was denn nun wo gespielt wurde.

Über die Jahre hat sich das Oldenburger Filmfest dafür einen Namen gemacht, dass es die unabhängigen Regisseure aus den USA hofiert. Auch diesmal gab es wieder kleine, billige, dreckige Filme von jungen Wilden aus Hollywood zu sehen – einige natürlich erbärmlich schlecht (die großen Entdeckungen schnappen sich inzwischen längst die großen Festivals), aber erstaunlich viele waren dann doch gelungen. Etwa der Gewinner des Publikumspreises „The Invisibles“, ein Zwei-Personen-Film, der so wirkte, als hätte der Regisseur die schönen Hotelszenen zwischen Belmondo und Jean Seberg aus Godards „Atemlos“ zu einem 90 Minuten Film aufgeblasen. Ein junges Paar schwätzt hier im Grunde nur altklug daher, und doch war dies einer der schönsten Filme des Festes.

In „Real Stories of the Donutmen“ spürt man dagegen die Wut des Filmemachers Beeaje Quick auf Polizisten, Staatsbeamte und Bürokraten. In kurzen, nur lose verknüpften Szenen zeigt er, wie zwei Anarchos als Polizisten auf Motoradstreife mit falschen Ausweisen und Computerdaten bewaffnet, Chaos verbreiten. Das ist sehr komisch, böse und eine Wohltat für jeden, dessen Auto schon mal abgeschleppt wurde. Das Roadmovie „Roadkill“ entpuppte sich schnell als eine Mischung aus „Nikita“ und „Mann beisst Hund“: ein Filmstudent macht einen Dokumentarfilm über eine Profikillerin, und natürlich kann er dabei kein unbeteiligter Beobachter bleiben. Die Genrekonventionen werden hier mit viel Übermut angekratzt, und Regisseur Matthew Leutwyler beweist viel Gespür für Timing und Komik. In Hollywood ist dies angeblich schon ein Geheimtip, und Robert Rodriguez hat mit „El Mariachi“ gezeigt, wie weit man es mit einem frechen, billigen Debütfilm bringen kann.

Eine weitere Entdeckung des Filmfestes waren die drei Dokumentarfilme, die sich mit der Por-nofilmindustrie der USA beschäftigen. Alle drei alles andere als spekulativ, statt dessen informativ, handwerklich solide gemacht, nicht moralisierend und völlig unerotisch. In „Wadd; The Life & Times of John Holmes“ erfährt man etwa, woher der Spielfilm „Boogie Night“ seine Storyline hat, denn dort wurde mit wenigen Veränderungen vom Aufstieg und Fall des Pornodarstellers John Holmes erzählt – ein extremer Fall vom „american dream“, der zum Alptraum wird.

„Rated X-A Journey through Porn“ ist ein dokumentarisches Filmtagebuch des Regisseurs Dag Yngvesson, der Darsteller, Produzenten, Manager und Analytiker der Sexindustrie befragt und ironischerweise schließlich selbst als Kameramann bei einer Pornoproduktion arbeitet. Je geringer dabei sein Abstand wird, desto fragwürdiger wird auch sein Film.

Und schließlich war da noch Everybodies darling Stacy Valentine, die von der feministischen Filmemacherin Chistine Fugate sehr einfühlsam, intensiv und dadurch nur um so deprimierender portraitiert wird. Sie sagt den traurigsten Satz des Filmfestes in die Kamera: „Für den Sex habe ich meine Arbeit, für die Gefühle meine beiden Katzen“. Das würde einem Drehbuchautor nur in seinen besten Stunden einfallen.

Wilfried Hippen