PDS könnte auch in Berlin zweitstärkste Kraft werden

■ Wahlforscher erwarten rot-rotes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und Sozialisten

Parteienforscher schließen nach dem Wahlergebnis in Thüringen nicht mehr aus, dass die PDS auch in Berlin zur zweitstärksten Partei werden könnte. „In Berlin ist der Abstand zwischen PDS und SPD bereits jetzt geringer, als er im Vorwahlkampf in Thüringen war“, sagte Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap, gestern gegenüber der taz. Dies spreche dafür, dass es den Sozialisten auch bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober gelingen könnte, die SPD zu überflügeln. Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts liegt die SPD knapp unter 20 Prozent der Stimmen, die PDS erreicht in der Wählergunst 18 Prozent, das sind drei Prozentpunkte mehr als 1995.

Hajo Funke, Professor der Politikwissenschaften an der Freien Universität, hält es ebenfalls für möglich, dass die PDS zur zweitstärksten politischen Kraft avanciert. Die Sparpolitik der Bundesregierung werde auch bei den Abgeordnetenhauswahlen ausschlaggebend sein. Mit der Unterstützung dieser Politik, die sich in Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) manifestiert, verliere auch der Berliner Landesverband seine Glaubwürdigkeit im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Davon werde im Westteil der Stadt die CDU, im Osten die PDS profitieren. Insbesondere letztere könne sich als sozial orientierte Partei in dieser Lücke glaubwürdig profilieren. „Parteien, die den sozialen Bereich vernachlässigen, verlieren“, warnte Funke.

Vorfreude ist für die PDS allerdings noch nicht angezeigt. Richard Hilmer von Infratest Dimap prognostiziert: „Die Partei kann in Ostberlin nicht mehr sehr viel stärker werden und wird in Westberlin ebenfalls nicht wesentlich zulegen.“ Zudem könne sich nach den Wahlniederlagen in Thüringen und voraussichtlich auch Sachsen der Negativtrend der SPD umkehren. Die erdrutschartigen Verluste in Thüringen hätten ihre Ursache unter anderem in der fehlenden Mobilisierungskraft der SPD unter ihren Stammwählern. Allerdings habe sowohl die SPD in Berlin als auch in Thüringen die Ergebnisse großer Koalitionen zu verantworten, sagte Hilmer.

Hilmers Kollege Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, sieht die Chance der PDS auf den zweiten Platz ausschließlich in der Schwäche der SPD begründet: „Von einem unbegrenzten Wachstum der PDS kann keine Rede sein.“ So habe die Partei in absoluten Zahlen und im Vergleich zur Bundestagswahl 1998 sowohl bei der Thüringer Landtagswahl als auch bei der Europawahl Verluste erlitten. Einen Mitleidseffekt zugunsten der SPD hält Güllner allerdings für irrelevant: „Schlechte Wahlergebnisse nutzen wenig.“

Bei der PDS selbst übt man sich in Bescheidenheit. Fraktionsvorsitzende Carola Freundl erklärte: „Uns geht es vor allem darum, unser Wahlergebnis zu verbessern.“ Es liege nicht im Interesse der PDS, die SPD zu marginalisieren. Schließlich droht der PDS mit dem freien Fall der Sozialdemokraten der bisher vergeblich umworbene Koalitionspartner abhanden zu kommen. Außerdem habe ihre Partei im Westteil der Stadt weiterhin mit großen Akzeptanzproblemen zu kämpfen, sagte Freundl. Sie glaubt, der größte zu erwartende Wahlerfolg der SPD sei dann eingetreten, wenn es ihr gelinge, das Ergebnis von 1995 zu halten. Bei den Abgeordnetenhauswahlen vor vier Jahren hatte die Berliner SPD mit 23,6 Prozent das schlechteste Resultat ihrer Geschichte erzielt. Andreas Spannbauer