Zigeuner an den Stadtrand?

Sinti und Roma wollen endlich eine eigene Gedenkstätte im Zentrum Berlins. Versprochen wurde ein Platz nah am Reichstag – doch daraus wird wohl nichts  ■   Von Philipp Gessler

Svobodan hat keine Chance. Auf einer kleinen Lichtung im Tiergarten, südlich des Reichstages, greift er seine Gitarre und singt tapfer gegen das Techno-Gestampfe und das Kreischen von weiblichen Fans auf der Bühne wenige hundert Meter entfernt an. Dort findet das „Kanzlerfest“ zum Abschluss des Umzugs der Regierung nach Berlin statt, zehntausende sind gekommen. Der Hymne von Svobodan dagegen lauschen hier nur ein paar Dutzend Unentwegte. Einige haben Steine mitgebracht und stapeln sie unter einem Holzschild, aufgestellt vom Zentralrat der Sinti und Roma. „Hier entsteht das nationale Holocaust-Mahnmal für die im NS-besetzten Europa ermordeten Sinti und Roma“, verkündet es.

Das ist kühn. Denn nach der Entscheidung über das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas südlich des Brandenburger Tores stehen die Zeichen schlecht für eine Gedenkstätte in Erinnerung an die NS-Opfer unter den Sinti und Roma. Die Nazis haben etwa eine halbe Million „Zigeuner“ umgebracht. Mit dem „Himmler-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 waren auch sie für die „Endlösung“, die Ausrottung, vorgesehen. Viele starben in Auschwitz, im sogenannten „Zigeunerlager“.

Es dauerte bis Anfang der Achtzigerjahre, ehe die Überlebenden in der Bundesrepublik als rassisch Verfolgte anerkannt wurden. Sie bekamen nur eine kleine Entschädigung von der Rechtsnachfolgerin des „Dritten Reiches“ – erkämpft oft in entwürdigenden Verfahren vor der bundesdeutschen Justiz. Viele erlebten eine Entschädigung nicht mehr. Die noch lebenden Roma in Osteuropa haben bis heute in der Regel nichts bekommen, was zumindest eine symbolische Wiedergutmachung darstellen könnte. Die deutsche Schuld vor und nach 1945 in Erinnerung zu halten, darum bemüht sich seit Jahren die Internationale Liga für Menschenrechte, eine bei den Vereinten Nationen akkreditierte regierungsunabhängige Organisation. Zum vierten Mal seit 1996 lud sie am Sonntagabend auf die Lichtung im Tiergarten, um mit einem Steinhaufen („Steine des Anstoßes“) ein Mahnmal für Sinti und Roma einzufordern.

Für eine Gedenkstätte an diesem Ort, betont die „Liga“-Präsidentin Fanny-Michaela Reisin, gebe es feste Zusagen, sowohl des Bundes wie des Landes Berlin. Kulturstaatsminister Michael Naumann bestätigte dies vor einigen Wochen. Berlin müsse handeln. Das Land habe den Platz südlich des Reichstages fest zugesagt, verkündete er öffentlich, dafür gebe es schriftliche Belege.

Das aber ist umstritten. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) erzählt es jedem, der es hören will: Einen formalen, rechtlich verbindlichen Beschluss des Senats für ein Mahnmal an diesem Ort existiere nicht. Zwar gibt es frühere Zusagen des damaligen Bausenators Wolfgang Nagel (SPD), des Ex-Kultursenators Ulrich Roloff-Momin (parteilos) und Christine Bergmanns (SPD), einstige Arbeitssenatorin in Berlin und amtierende Bundesfamilienministerin. Diepgen aber sagt, die Äußerungen der Senatoren spiegelten damals nur deren „persönliche Meinung“ wider.

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, musste Ende Juli bei der Aufstellung des Hinweisschildes eingestehen: Verbindlich waren diese Zusagen nicht. Rose konnte damals nur einen Stadtplan vorzeigen, auf dem Nagel die Wiese als Mahnmals-Standort eigenhändig markiert habe.

Der Regierende Bürgermeister schlägt nun vor, ein Mahnmal am Stadtrand, in der Plattenbau-Siedlung Marzahn zu errichten. Dorthin vertrieben die Nazis 1936 Roma und Sinti der Hauptstadt, als Berlin die Olympiade feierte. Unter elenden Bedingungen vegetierten sie dort in mehr als 130 Wohnwagen und Baracken vor sich hin, ehe sie 1942 deportiert wurden. Da es in Marzahn formalrechtlich kein Konzentrationslager gab, hatten Überlebende nach dem Krieg Schwierigkeiten, für diese Jahre auf dem sogenannten „Zigeuner-Rastplatz“ Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Daran erinnerte der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, am Sonntag im Tiergarten.

Er lehnt wie die Präsidentin der Menschenrechtsliga, Fanny-Michaela Reisin, die Marzahn-Lösung Diepgens vehement ab: Das Mahnmal, fordert Reisin, gehöre in das alte und neue politische Zentrum Deutschlands – die zu befürchtende „Marginalisierung“ in Marzahn würde nur die Tradition der Ausgrenzung der Sinti und Roma fortschreiben. Eine Mahnung an die Tätergesellschaft müsse an einen zentralen Ort.

Reisin kann auf den Bundestagsbeschluss zum Mahnmal für die ermordeten Juden verweisen. Der legt fest, dass es Gedenkstätten auch für getötete Homosexuelle, Euthanasie-Opfer, Zeugen Jehovas, Kommunisten und Sinti und Roma geben müsse. Doch wo genau sie stehen sollen, hat die Volksvertretung bis heute nicht gesagt.