Jeden Tag eine neue Prognose

■  An zwei Wahlbörsen im Internet bestimmen Angebot und Nachfrage die Kurse der einzelnen Parteien. Reich werden kann man mit der Polit-Spekulation aber nicht

Die CDU kommt auf 37,3 Prozent, die SPD auf 22,8 Prozent, die PDS erzielt 16,1 Prozent, die Grünen 11,9 und die FDP ist mit 4,2 Prozent nicht im Abgeordnetenhaus vertreten.

Das ist der letzte Stand der Dinge, jedenfalls wenn man der gestrigen Prognose von wahlboerse-berlin.de Glauben schenkt. 170 Broker haben sich in dieser virtuellen Börse zusammengefunden, und täglich handeln sie mit den Wahlaussichten der verschiedenen Parteien. Das einfache Prinzip von Angebot und Nachfrage bestimmt deren Kursentwicklung.

Viel Geld lässt sich aber mit Politik nicht verdienen. Schließlich haben die Initiatoren des Projektes, eine Forschungsgruppe um den Wirtschaftswissenschaftler Werner Güth von der Humboldt-Uni, die Höhe der Einsätze begrenzt: Mehr als hundert Mark darf niemand an der Internet-Börse verspekulieren. Grund: Die Forscher möchten möglichst viele Menschen mit Börsen-Gepflogenheiten vertraut machen. „Da würden hohe Einsätze nur abschrecken“, sagt Projektmitarbeiter Jan Hansen. Außerdem würde der Markt verzerrt, wenn einer plötzlich 10.000 Mark einsetzte.

Das darf nicht sein, denn die Forscher wollen mit ihrer Wahlbörse nicht nur aktuelle Zahlen liefern, sondern auch „neue Erkenntnisse über die Prognosefähigkeit von Märkten sammeln“, so Hansen. Die schätzen die Forscher ziemlich hoch ein. Im Gegensatz zu traditionellen Meinungsumfragen reichten die 170 Teilnehmer, rund ein Drittel davon sind Studenten, vollkommen aus, um ein aussagefähiges Bild zu erhalten. Die Broker würden ja nicht nach dem eigenen Wahlverhalten befragt, sondern handelten rational, ist sich Hansen sicher.

Wirklich perfekt ist die Börse aber nicht. Insiderwissen, mit dem sich normalerweise viel Geld verdienen lässt, ist nahezu ausgeschlossen. „Da müsste man schon wissen, dass Momper in einer Stunde zurücktritt“, sagt Hansen. Und noch ein gravierendes Manko hat die Wahlbörse: Es gibt keine Möglichkeit – wie in der Börsenrealitiät –, auf fallende Kurse zu spekulieren. So kann kein Börsianer etwa mit der Prognose, dass die SPD nur 15 Prozent bekommt, Geld machen.

Auch bei der Konkurrenz, der Internetbörse berlin.wahlstreet.de, kann man mit dieser Option nicht punkten. Denn sie funktioniert grundsätzlich nach dem gleichen Prinzip wie die Wahlbörse. Spekulieren auf sinkende Kurse sei wegen der begrenzten Geldmenge am Markt nicht möglich, erklärt Projektleiter Klemens Polatschek. „Unsere Prognosen sind aber mindestens so aussagefähig wie traditionelle Meinungsumfragen“, so Polatschek.

Auf der „wahlstreet“ liegen allerdings diejenigen besser, die noch weniger an die SPD glauben. Gestern Nachmittag kam die SPD hier auf 22,3 Prozent. Die CDU wird mit 38,2 Prozent gehandelt. Die PDS landet bei 15,8, die Grünen bei 12,4 Prozent. Oder auch nicht. Nur eines ist sicher: Am 10. Oktober sind alle reicher – an Erfahrung. Richard Rother