Tic Tac Two für Philosophen

■ Wie Peter Sloterdijk einmal Jürgen Habermas mobben wollte

Peter Sloterdijk hatte alles so schön eingefädelt. Ein bi-ba-butze-böses Referat hat er gehalten auf Schloss Elmau. Der Genforschungsindustrie hat er den roten Teppich ausgerollt. Nicht dass die Industrie den Teppich brauchte. Die Genforschung forscht, was sie will, mit Applaus oder ohne. Das Geld ist da, die Aussicht auf Profit ist da, die Wissenschaftler stehen parat. Ein geisteswissenschaftlicher Claqueur ist nicht zwingend erforderlich, aber es macht sich nicht schlecht, wenn beim Zusammenklempnern des genetischen Materials ein Philosoph seinen ethischen Segen gibt und überm Weihrauchtopf brummelt: „Und Ich sah, dass Es gut war.“

Wie von Sloterdijk gewünscht, tauchten im Anschluss an seine tief-im-Wald-deutsche Rede auch allerlei Gegner auf und krakeelten im Quadrat. „Schlimm!“, hieß es, und das böse Wort mit f wurde natürlich auch gesagt: faschistoid. Hätte polaroid es nicht auch getan?

So weit lief es nicht schlecht für Sloterdijk, allein: Wer waren seine Gegner? Die dritte, die vierte Garnitur! Zum Beispiel Reinhard Mohr vom Spiegel, der am Heiner-Lauterbach-Syndrom leidet: der Kunst, gleichzeitig Gleit- und Brechmittel zu sein. Mohr, sonst mit der Anpreisung der jeweils neusten Berliner Single-Treffs oder wahlweise seines Außenministers beschäftigt, hat bei Sloterdijk „Züge faschistischer Rhetorik“ entdeckt. Ja, wo fahren sie denn, die Züge?

Es geht ein Zug nach Nirgendwo, mit Reinhard Mohr als Passagier. Auch mit dem sich ihm und anderen als Widersacher aufdrängelnden Thomas Assheuer vom Zeit-Feuilleton, der seinen mäßigen Gedankengang stets hoffnungsvoll mit unlesbaren Satzgebirgen aufplustert, kann Sloterdijk nicht zufrieden sein. Schließlich will er Deutschlands Erster Philosoph sein. Dazu bedarf es auch erstklassiger Feinde. Und was bekommt er? Diese halbgaren Jungs vom Feuilleton. Frechheit!

Weshalb Sloterdijk in der Zeit zwar auch Assheuer ein Briefchen schreibt, sein Hauptaugenmerk aber auf Jürgen Habermas richtet. Habermas ist Chef im Philosophenring, ihn will Sloterdijk ablösen. Weshalb auch „die Kritische Theorie gestorben“ sein muss wie vor ihr nur Conny Kramer: an einem Tag. Sloterdijk nennt als Todeszeitpunkt exakt den 2. September 1999. Das war der Tag, als die Zeit es wagte, ihn, Sloterdijk, den Mann in den Startlöchern, zu kritisieren.

Habermas, den Sloterdijk ersetzen möchte, hat sich zur von Sloterdijk betriebenen Affaire um seine Person zwar noch nicht geäußert, doch Sloterdijk macht Habermas zum Drahtzieher einer Verschwörung gegen Sloterdijk. Das ist nur logisch, denn die Position, die Habermas innehat, ist Sloterdijks Ziel. Und gute deutsche Schule ist es auch: Man stilisiert sich zum Opfer einer Verschwörung, gegen die man sich dann – notgedrungen, beinahe bedauernd zwar, aber mit Stahlhelm auf der Denkerrübe – zur Wehr setzen muss. Sloterdijk, der in den 80er Jahren ein Auskommen als ganz netter Modephilosoph hatte, ist da angelangt, wo der Deutsche gerne Heimat sucht: in der Rolle des schwer originären Genialitätsdarstellers, seehundschnurrbarttraurige Heldenpose inklusive. Das Land wimmelt von solchen Kerlen, und alle halten sie sich für Unikate.

Sloterdijks Verstand mag ausreichen, um einen nicht sattelfesten Händeringer und überambitioniereten Dauermahner wie Assheuer von oben herab zu schulmeistern und abzuwatschen. Das trifft auch nicht den falschen Mann. Zum Begreifen selbst einfacherer Sachverhalte aber reichen Sloterdijks Ressourcen bestürzenderweise nicht. Schnippisch fragt er Assheuer: „Wie stellt man es an, hinter vorgehaltener Hand über jemanden zu reden, hinter dessen Rücken man redet?“ Dabei ist gerade das kinderleicht: Man stellt sich hinter jemandes Rücken, hält die Hand schräg vor den Mund und spricht hinter dieser Hand über die Person, hinter der man steht (siehe Foto).

Peter Sloterdijk vermag sich nicht einmal das vorzustellen. Seine Phantasie ist okkupiert von der Verschwörung gegen ihn und von seinem Triumph über Habermas. Nicht von zwölf bis Mittag denken können und einen alten Mann mit Hasenscharte fertig machen wollen: Auch so gesehen ist Peter Sloterdijk ist ein wahrhaft deutscher Philosoph. Wiglaf Droste