Der Bundesrat kann warten

■ Erst einmal will die rot-grüne Koalition die größte Sparaktion in der Geschichte der Bundesrepublik durch den Bundestag bringen

Berlin (taz) – Der Mann wirkt erschöpft. „Ich gehe davon aus, dass das Sparpaket so durchgeht“, sagt Hans-Georg Wagner müde. Wagner musste kürzlich als saarländischer SPD-Vize die herbe Niederlage seiner Genossen mit vertreten. Nur wenige Tage zuvor war der haushaltspolitische Sprecher der SPD mit einem kämpferischen Vorschlag für eine Vermögensabgabe auf linken Spuren gewandelt. Jetzt ist aller Eifer von ihm gewichen. Nein, „keine Anträge“, berichtet Wagner einen Tag bevor er den Haushalt des Jahres 2000 in den Bundestag einbringt: „Es gibt bislang keine Änderungsanträge aus meiner Fraktion für das Zukunftsprogramm 2000.“

Dabei hat doch die Parteilinke gerade Aufwind erhalten durch die verheerenden Wahlschlappen, welche die SPD durchleidet. Nicht nur die notorisch Progressiven der Fraktion haben das, in ungewohnt impulsiver Art, dem Kanzler vorgehalten (siehe Text oben). Aber das Missverhältnis bei der Linken zwischen Wort und Tat ist nicht neu. „Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens“ würden gewiss noch Anträge einlaufen, sagt Wagner. Bei ihm, dem Berichterstatter der Fraktion fürs Budget 2000, sind sie vorzulegen. Und so müssen sich jene im Land noch gedulden, die erwarten, dass der Bundestag das Sparprogramm der rot-grünen Regierung auf seine soziale Schieflage prüft. Denn dort werden die Gesetze gemacht, und Anlass für Kritik gäbe es genug. Rot-Grün legt heute im Berliner Bundestag ein Zahlenwerk vor, das niemand von einer links der Mitte stehenden Reformregierung erwartet hätte. Gut, die Grünen hatten zum „Sparen“ gedrängt. Aber als Finanzminister Hans Eichel vor wenigen Wochen ankündigte, die Ausgaben des Bundes um 30 Milliarden Mark drücken zu wollen, war das irgendwo zwischen Witz und Wahn verortet worden. Die Grünen witterten eine unerfüllbare Vorgabe – die nur gute Gründe für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer liefern solle. Aber weit gefehlt. Eichel meint es ernst. Was SPD und Bündnisgrüne heute auf die politische Bühne legen, geht weit über die Sparpakete der Kohl-Regierung hinaus – sowohl was das Volumen als auch die Grausamkeiten anlangt:

Die so genannte „originäre Arbeitslosenhilfe“, für joblose Soldaten und Referendare gedacht, soll abgeschafft werden. Rot-Grün lässt die Ausbildungsförderung künftig über Banken abwickeln. Auch aus dem „pauschalierten Wohngeld“ will sich der Bund zurückziehen. Und das ist nur ein Teil von Einsparungen, die durch 30 Einzelgesetze herausgeholt werden sollen. Vor gut eineinhalb Jahren hätte die damalige Opposition, hätten SPD und Bündnisgrüne über solche Kürzungen im Bonner Wasserwerk getobt – nun halten sie dem Argument der brutalen Schnitte die steuerlichen und sozialen Erleichterungen entgegen. Auch die hat die Bundesregierung erbracht. Von der deutlichen Familienentlastung über die Senkung der Steuersätze bis hin zu neuen Sicherungen im Rentensystem, Rot-Grün hat etliche finanzielle Vergünstigungen verabschiedet. Nur ist das nicht die Nachricht. Die lautet, aus dem Munde der grünen Haushaltsexpertin Antje Hermenau: „Wir halten es für klüger, das Paket nicht aufzuschnüren.“ Will sagen: Es gibt hie und da kritische Anmerkungen an der größten Einsparaktion seit Gründung der Republik. Bloß ist das Risiko zu groß, dadurch das gesamte „Zukunftsprogramm 2000“ zu gefährden – und damit das rot-grüne Projekt.

Wer gedacht hätte, die rot-grünen Wahlniederlagen würden die Koalitionäre kompromissbereiter machen, liegt falsch. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil der Bundesrat nun Einzelteile des Sparpakets – Wohngeld, Bafög, Arbeitslosenhilfe – ablehnen kann, warten die Koalitionäre mit ihren Bedenken lieber. Keine Kompromisse vor der Zeit, heißt die Devise. Erst verabschiedet der Bundestag den Haushalt (voraussichtlich am 4. November). Danach wird mit dem Bundesrat verhandelt.

Bis dahin wird es SPD-Haushälter Hans-Georg Wagner hoffentlich wieder besser gehen. Um den Kampf im Bundesrat zu bestehen. Christian Füller