„Direkt um die Ecke“

Dünen in Horn: Mit Angelika Landwehrs Theater in der Washingtonallee bekommt Hamburgs Osten seine erste Bühne  ■ Von Liv Heidbüchel

Horn ist ein Stadtteil, den der Hamburger mit Miss-trauen betrachtet – zumindest wenn es ums Kulturelle geht. Denn Horn liegt im Osten, und jenseits der Deichtorhallen-Kampnagel -Linie kann keine Kultur gedeihen. Soweit ein gängiges Voruteil.

Morgen eröffnet in Horn ein Theater: das Theater in der Washingtonallee. Ein exotischer Standort, möchte man meinen, aber bei Licht betrachtet? Mit der U-Bahn fährt man vom Hauptbahnhof nicht länger als bis zur Sternschanze. Und für die Theaterleiterin Angelika Landwehr ist Horn ohnehin ein ganz normaler Stadtteil. Einer, in dem Kultur im Kleinen genauso stattfindet wie andernorts. „Es ist ein Fehler, die Menschen hier als kulturlos darzustellen“, sagt sie bestimmt. Auch hier leben Leute, die ein Theater „direkt um die Ecke“ wollen.

Landwehrs Zimmertheater hat auf drei Sitzreihen Platz für etwa 40 Zuschauer. Zum Frischmachen geht man in den Keller. Der dortige Korridor mündet in eine gemütliche Sofa-Ecke mit Bar und zukünftig auch Piano. Dunkelblauer Teppich, grün gewischte Wände, Designerstühle und drei Alcantara-Sofas in Rot, Blau und Grün: Der „Pool“ ist stilvoll ohne aufdringlichen Chic. An den Kurven des geschwungenen Tresens läuft eine Reihe weißer Kiesel entlang und stimmt auf das Premierenstück Dünen ein.

Dünen ist Landwehrs „Herzstück“, wie sie es bezeichnet. Bereits vor fünf Jahren dramatisierte sie den Roman Die Frau in den Dünen von Abe Kobo. Seitdem lässt ihr der Text keine Ruhe. Darin geht es um einen Mann, den es aus Leidenschaft am Insektensammeln in ein entlegenes Küstendorf verschlägt. Sein Nachtquartier ist nicht mehr als eine Baracke, tief in einem Sandloch gelegen. Schon bald stellt sich heraus, dass der Mann ein Gefangener der Dorfbewohner ist. Fluchtaussichten bestehen nicht.

Die einzige, nie enden wollende, Tätigkeit im Sandloch besteht da-rin, die unablässig herabrutschenden Sandmassen in Eimer zu schaufeln und von den Dörflern hochziehen zu lassen. Die Belohnung: Wasser und Nahrung. Doch der Mann ist nicht allein – sein Schicksal teilt eine Frau. Da bleiben Spannungen nicht aus.

Landwehr fasziniert an diesem Text besonders die Idee des „Sandabarbeitens“, die Arbeit, die kein Ende nimmt, und immer wieder die Frage: „Was hat man eigentlich geschafft?“ Die Rolle der Frau hat sie mit Claudia Buchholz besetzt. Als ehemalige Schülerin ist sie mit Landwehrs Arbeitsstil vertraut, beide ergänzen sich „unheimlich gut“, meint die Theaterleiterin. Den Mann spielt Peter Per – auch er passioniert bei der Sache.

Für Landwehr ist dieses Engagement nicht nur für Dünen von großer Bedeutung. Ein begrenzter Etat beinhaltet begrenzte Gagen, und das kann sich nicht jeder Schauspieler leisten. Als Landwehrs Theateridee Formen anzunehmen begann, hatte sie, wie sie lachend zugibt, noch ziemlich unrealistische Vorstellungen: „Ich habe erst langsam rechnen gelernt. Doch fast nichts ist besser als gar nichts.“ Dieses „fast nichts“ schließt diese Saison vier Produktionen ein, da-runter die Kammermusical-Uraufführung Songs from the Attic und Irina Liebmanns Berliner Kindl. Außerdem tritt jeden Montag im Pool ein anderer Künstler aus den Bereichen Musik, Theater und Literatur auf.

Ab Oktober findet jeden Dienstag ein von Landwehr geleitetes Theaterseminar statt. Und wenn in Zukunft auch größere Stücke auf dem Spielplan stehen, besteht für den einen oder anderen Lernenden sogar Aussicht auf eine kleine Rolle.

Premiere: Fr, 17. September, 20 Uhr, Theater in der Washingtonallee, Washingtonallee 42; weitere Vorstellungen: Di - So, jeweils 20 Uhr. Karten und Infos unter Tel.: 65 99 11 68