Plötzlich war die Geisel da

Haftstrafen für zwei Kurden, die im Februar die SPD-Zentrale mit besetzt hatten. Gericht urteilt: Die Geiselnahme war nicht geplant  ■ Von Elke Spanner

Die Angeklagten nahmen das Urteil sofort an. Schließlich war es ihnen schon vorher bekannt. Wie schon Mitte Juli im ersten Prozess gegen vier Kurden, die am 17. Feb-ruar die SPD-Zentrale an der Kurt-Schumacher-Allee besetzt hatten, hatte der Vorsitzende Richter am Landgericht Gerhard Schaberg sich bereits im Vorfeld mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft über den Strafrahmen verständigt: Zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wurde der Kurde Mehmet C. verurteilt. Sümer Y., den das Gericht, „wenn auch nicht als Rädelsführer“, so doch als denjenigen bezeichnete, der bei der Besetzung die Fäden in der Hand gehalten habe, geht für zwei Jahre und neun Monate ins Gefängnis.

Den beiden wurde neben schwerem Landfriedensbruch die Geiselnahme an dem SPD-Kreisgeschäftsführer Dirk Sielmann zur Last gelegt. Die Kurden betonten vor Gericht, dass sie ursprünglich nur zur SPD-Zentrale gezogen seien, um dort eine Presseerklärung zur Entführung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Nairobi abzugeben. Schon die Besetzung des Gebäudes sei nicht geplant gewesen und hätte sich spontan ergeben. Sielmann hätten die Kurden bemerkt, als sie sich im dritten Stockwerk verschanzten. Als die Polizei dann die Barrikaden mit Wasser wegspritzen wollte, hätten sie den SPD-Mitarbeiter als Geisel eingesetzt, um die BeamtInnen an einer gewaltsamen Räumung zu hindern.

Auch Richter Schaberg zeigte sich davon überzeugt, dass es ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen sei, eine Geisel zu nehmen, „aber plötzlich war sie da“. Statt Sielmann herauszulassen, „eskalierte die Situation weiter“. Neun Stunden lang wurde der SPD-Angestellte festgehalten. Richter Schaberg: „Das ist eine schlimme Geschichte“.

Siemann selber hatte zuvor als Zeuge ausgesagt. „Ich bin in keiner Weise drangsaliert oder geschlagen worden“, betonte der SPD-Angestellte. „Zwei der Kurden haben sich sogar bei mir entschuldigt.“ Gegenüber der Polizei hatte einer der Besetzer mit Selbstverbrennung gedroht und damit, das Gebäude in Brand zu setzen. Sielmann sagte, er habe nicht gefürchtet, dass ihm Gewalt angetan werde. Er habe sich aber gefragt: „Wenn die Polizei noch einmal angreift: was passiert dann?“ Der SPD-Mitarbeiter bestätigte vor Gericht, dass Sümer Y. ihn aufgefordert hatte, sich im Fall der Erstürmung durch die Polizei in einer kleinen Kammer zu verstecken. Dort würde ihm nichts passieren.

Die Angeklagten entschuldigten sich bei Sielmann. Sümer Y. bezeichnete die Geiselnahme als „emotionale Überreaktion“. Bereits während der Besetzung habe er „die Aktion als schweren Fehler begriffen“.