Ein Kontrabass tanzt

■ Barry Guy über das ungewöhnlichste Musikfest '99-Projekt „Neue Perspektiven zur Musik John Dowlands“

Der irische Kontrabassist und Komponist Barry Guy ist ein außergewöhnlicher Musiker. Wie selbstverständlich verbindet er so unterschiedliche Richtungen wie Alte Musik und freie Improvisation. Gemeinsam mit dem Tenor John Potter, der Violinistin Maya Homburger, dem Lautisten Stephen Stubbs und dem Jazz-Saxophonisten John Surman hat er sich musikalisch dem Werk von John Dowland (1563-1626) beschäftigt.

taz: Ein sehr ungewöhnliches Kammerensemble spielt John Dowland. Wie kam es zu diesem Projekt?

Barry Guy: Manfred Eicher, der Chef von ECM Records, hat sehr geschickt unterschiedliche Persönlichkeiten zusammengeführt. John Potter und Stephen Stubbs schlugen vor, eine Platte mit Dowlandsongs für Solostimme und Laute aufzunehmen. Wir wussten nichts davon. Zur gleichen Zeit haben Maya Homburger und ich unser Album „Ceremony“ fertig gestellt. Eicher hat gesehen, dass die Barockvioline und der Kontrabass, die da zu hören sind, sich sehr gut in das andere Projekt einfügen könnten. Aber die viel brillantere Idee war, den Saxophonisten John Surman dazuzuholen.

Haben diese Instrumente und die unterschiedlichen Musiker sofort harmoniert?

Ja. Wir waren sehr verwundert darüber, wie gut die Instrumente zusammen passen. Ich glaube, dass es daran liegt, dass Dowlands Songs eine Geschichte zu erzählen haben. Darum können wir auf eine so ungewöhnliche Weise an das Material herangehen, indem wir die Intrumentierung veränderten. Barockvioline und Bassklarinette haben beide einen dunklen Sound. Es war, als würden sie miteinander reden. Neben der Mischung der Instrumente ist da noch die visuelle Qualität von John Potters Tenor. So, wie er sich den Dowlandsongs nähert, lässt er eine sehr spezielle Atmosphäre entstehen.

Spielte Improvisation eine große Rolle?

In den zwei Tagen, in denen wir das Album aufgenommen haben, probierten wir mit der Kombination von Instrumenten herum: mal Gesang und Laute, ein anderes Mal Violine, Klarinette und Kontrabass. Einiges war sehr improvisiert. Wir versuchten, diese alte Musik lebendig zu machen, ohne uns zu sehr an die etablierte Tradition von Interpretationen zu klammern. Mit einem Sinn für das Fehlen von Präzision. John Potter sagte uns, wir sollten die Farben der Songs wahrnehmbar machen, ohne strikt alle Noten zu spielen, die wir vor uns hatten. Improvisierend sind wir Schritt für Schritt vorangegangen. Wir versuchten, die Gefühlslagen in den Songs zu erkunden. Aber nicht im romantischen Sinn. Eher ging es um ein stilistisches Ganzes, einen Weg, wie wir mit unserer Instrumentierung den Charakter der Musik wiedergeben konnten. Wir haben nicht nur mit den Instrumenten, sondern auch mit unseren Vorstellungen von der Musik improvisiert. Mitunter haben wir die Song-Form verlassen und uns etwas Freiraum geschaffen.

John Surman spielt mit dem Saxophon ein ausgesprochen modernes Instrument. Wie passt das zusammen?

Es ist eine Verbindung musikalischer Intelligenz. Jeder wusste, wie zu spielen war. Als ob die Musik selbst uns von Beginn an gepackt und gesagt hätte: „Ihr seid ein ungewöhnliches Ensemble. Aber spielt es einfach so.“ Surman spielt mit einer Art Unterton, leise und voll von Charakter, der unglaublich gut passt. Trotz des modernen Instruments mischt sich das perfekt mit den anderen Instrumenten. Ich erinnere keinen einzigen Moment, wo das Probleme gemacht hätte.

Bleibt in den Konzerten selbst Platz für Improvisation?

Wir haben eine Reihenfolge der Songs. John Potter hat vorgeschlagen, nach zwei Stücken, die nur Gesang mit Lautenbegleitung sind, zu improvisieren. Ob solo oder im Duett mit Surman, ist noch offen.

In Ihrer musikalischen Arbeit stehen freie Improvisation, Komposition und das Engagement für Alte Musik ganz selbstverständlich nebeneinander. Gibt es einen roten Faden in Ihrer Arbeit?

Beim Spielen wie beim Komponieren versuche ich, die Klarheit von Artikulation und Rhetorik zu zeigen, um so ein Gefühl für musikalisches Verstehen zu erreichen. Nehmen wir das Stück von Biber auf „Ceremony“. Maya und ich respektieren seine Musik, sie behält also ihre Klarheit. Dann waren da unsere Ideen, die wir hineinzubringen versuchten. Wenn ich komplett improvisierte Musik spiele, etwa mit Evan Parker, geht es mir um die Klarheit einer Idee: Wie funktioniert der Kontrabass, wie meine Art, mit anderen zu improvisieren?

Ist diese Parallelität von Genres und Zeiten fruchtbar?

Ich habe mein halbes Leben Barockmusik gespielt. Ich glaube, von der Struktur dieser Musik viel gelernt zu haben. Über Ausdruck, über die Bedeutung von Harmonien und Raum. Das hat mir eine bestimmte Schönheit und Zartheit in der mathematischen Struktur eröffnet. Das bedeutet, dass ich auf diese Aspekte in der Improvisation nicht verzichten möchte – ohne allerdings 'crossover' zu spielen. Jede musikalische Sprache sollte respektiert werden und sich in ihrem eigenen Kontext entwickeln können. Es gibt auch ganz merkwürdige Verbindungen. Biber hat für ein Stück die Bässe mit Pergamentpapier zwischen den Saiten präpariert. Wenn ich so was mache, beziehe ich mich also auch darauf.

Fragen: Tim Schomacker

„Lachrimae Novae“, Neue Perspektiven zur Musik John Dowlands, ist am Freitag um 20 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen zu hören. Karten und Infos gibt es unter Tel.: 339 11 oder im Internet unter www.musikfest-bremen.de