„Da wird Altersarmut programmiert“

■ Karoline Linnert, Sozialpolitikerin der Bremer Grünen, kritisiert das aktuelle „Sparpaket“ der rot-grünen Bundesregierung / Interview mit der taz über Knackpunkte im sozialen Bereich

Das Sparpaket – von der rot-grünen Bundesregierung immer wieder als „Zukunftspaket“ tituliert – spaltet die Nation. Der SPD wie auch den Grünen laufen die WählerInnen wegen der bundespolitischen Ankündigungen in Scharen davon. Die rot-grüne Bundesregierung gibt die Parole „Geschlossenheit“ aus, Kritik soll unter dem Teppich bleiben.

In dieser Situation meldet die sozialpolitische Sprecherin der Bremer Grünen, Karoline Linnert , öffentlich scharfe Kritik an. Die taz fragte nach.

taz: Der linke Flügelmann der Grünen, Jürgen Trittin ...

Karoline Linnert: ... der hat gesagt, die Sparpolitik der Bundesregierung ist nicht sozial unausgewogen, es gibt nur soziale Härten.

Es gebe keine soziale Schieflage. Was heißt das?

Ich beteilige mich nicht an dem Streit um Begifflichkeiten. Ich halte Teile des Sparpakets inhaltlich für falsch.

Muss nicht gespart werden?

Klar. Die christlich-liberale Koalition hat ein unheimliches Haushalts-Defizit hinterlassen. Da muss man etwas tun. Da geht es um Generationen-Gerechtigkeit. Aber die Höhe von 30 Milliarden Mark ist nicht das elfte Gebot. Bei Generationen-Gerechtigkeit geht es auch um ökologische und sozialpolitische Fragen.

Was hätte man ökologisch anders machen müssen?

Die Grünen hätten lieber in der Öko-Steuer andere Akzente gesetzt, dass wir da Kompromisse eingehen mussten, war aber klar. Dass im Etat immer noch Geld für den Transrapid steht, ist für Grüne schwierig. Meine Kritik an dem Sparpaket ist aber eine sozialpolitische.

Wenn man kein Geld für den Transrapid ausgeben würde, hätte man mehr für Sozialpolitik.

Unter anderem.

Wo liegen die Knackpunkte im sozialen Bereich?

Die Hälfte der einzusparenden Summe soll im Ressort für Arbeit und Soziales von Riester gestrichen werden. Das trifft meist arme und benachteiligte Menschen in Deutschland.

Familien mit niedrigem Einkommen werden doch durch die Steuerreform entlastet.

Das ist ein großer Reformschritt, der mehr gewürdigt werden sollte: Steuerentlastungen, Erhöhung des Kindergeldes, Abbau der indirekten Subventionen, wenn Besser-Verdienende alles Mögliche von ihrer Steuer absetzen konnten. Jetzt kommt das große „Aber“. Die gesamte Politik der Bundesregierung ist damit nicht sozial ausgewogen. Über ein Viertel der Menschen, die in Deutschland leben und zu den sozial Bedürftigen zählen, haben von diesen Entlastungen nichts, weil sie keine Steuern zahlen. Für Grüne kann es nicht nur um Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen gehen, sondern auch um Sozialhilfe-Bezieher, Rentner und Arbeitslose. Die werden durch das Sparpaket gerupft.

Wo?

Erster Punkt: Die originäre Arbeitslosenhilfe wird gestrichen.

Was ist das?

Leute, die nicht eingezahlt haben in die Arbeitslosenversicherung, etwa weil sie studiert haben oder Zivildienst geleistet, bekommen bisher trotzdem Arbeitslosenhilfe. Die Kohl-Regierung hat mindestens fünfmal versucht, diese „originäre Arbeitslosenhilfe“ abzuschaffen, aber Grüne und Sozialdemokraten haben dafür gekämpft, dass sie erhalten bleibt. Denn es wäre unsozial, da diese Personenkreise damit auch von weitergehenden Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit, Fortbildung und Umschulung abgeschnitten würden. Und es würde zu mehr Sozialhilfe-Ausgaben führen, also die Gemeinden belasten.

Zweiter Punkt: Das Wohngeld für Sozialhilfeempfänger soll von den Ländern bezahlt werden.

Das kann doch den Betroffenen egal sein.

Nein. Es wird großen Druck geben, da zu sparen. Die Stadtstaaten sind besonders unter Druck. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen steht das Gegenteil, es soll zu einer Neuverteilung der Sozialhilfelasten kommen.

Dritter Punkt: Die schlimmste Sparmaßnah-me: Für Arbeitslose soll nur noch ein sehr geringer Betrag an die Rentenversiche-rung abgeführt werden. Ein Arbeitsloser wird pro Jahr Arbeitslosigkeit eine Rentenanwartschaft von weniger als zwei Mark im Monat erwerben. Damit wird für einen großen Teil derer, die über längere Zeit arbeitslos sind, die Altersarmut programmiert. Das ist eine sozialpolitische Zeitbombe.

Hat der DGB wenigstens protestiert, wenn die Grünen schon schweigen?

Bisher habe ich davon nichts gehört. Die Sozialdemokraten sehen ihren Schwerpunkt in der Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Hier geht es um die Interessen derer, die darunter angesiedelt sind, und die wurden bisher von den Grünen stark vertreten.

Warum sagt Trittin, es gebe keine Schieflage?

Das ist vielleicht auch eine Kompetenzfrage. Sozialpolitik ist sehr kompliziert. Die Grünen gehen der Optik, dass die unteren Einkommen entlastet werden, auf den Leim. Fragen: K.W.