■ Das Diepgen des Tages
: Dr. Thomas Wohlfahrt

Acht Jahre lang hatten sie ihn genervt, die Sinnigschnacker und drögen Dichtersmänner, das Schdohs-Gejammere eines Rathenow und anderer Hisbohleyisten, die sensiblen Versschmiedinnen und die kollaperigen Literaturbeilagendamen, die Reimlinge und der Mauldampf eitler Romanciers sowie das ungehörige Benehmen der wortwerkelnden Prostmodernen der Prenzlauer-Berg-Connection. Da packte den Leiter der literaturWERKstatt, Dr. Thomas Wohlfahrt, der Grübelzwang. Der oberreine Schlechttraum wollte nicht enden. Er musste raus aus dieser miefseligen Kuhblöke Niederschönhausen. Nie wieder sollte ihm Horst Mahler in der Villa am Majakowskiring ganz neunazimäßig den Straßenkampf erklären. Rache, ihr Blödmanndeppen! Es würde sein Blauhelmbefreiungsschlag sein. Von ihm höchstselbst ersonnen, ganz man's magazine cool.

Nun ist es eine gar gruselige Vorstellung und eine von keinem Paragrafenreiter vorgesehene Strafe, mit einer Lyrik-darf-und-kann-auch-heute-schon-sein-Ulla-Hahn oder einem Zeitgeistthemenspringer wie Peter Schneider einen Tag lang in einem Raum eingesperrt zu werden. Unser Wohlfahrt jedoch kam auf eine noch perfidere Idee. Euro, so sinnierte er, ist die Steigerungsform von EU. Welcher Komparativ könnte dies wohl toppen? Der Sprachverwirrer droben hatte Erbarmen und gab ihm das neudeutsche Wort „Eurobylon“ für den sinistren Geistesblitz, mehr als 100 SchriftstellerInnen aus ganz Europa den lieben Sommer 2000 lang in Eisenbahnwaggons zusammenzupferchen und von Portugal via Paris und Paderborn nach Berlin wohlfahrten zu lassen. Alle paar Stopps gibt es Freigang. Dann heißt es: „Raustreten! Vorlesen!“ Und Tag für Tag muss in den drangvollen Laptopabteilen am Eurocrosserlebnisbericht gefeilt werden, bis die Projektkosten von 15 Millionen Mark ausgegeben sind und der Literatenknast auf Schienen den Halt Berlin-Hauptbahnhof erreicht. Dieser wird nach den Stationen Alexanderplatz und Friedrichstraße schon jetzt unter dem wahren Diepgen zur „Eurobylon-Mall“ rundum erneuert. Nur Maria bleibt Maria am Ostbahnhof. Molly Bluhm