piwik no script img

Im floralen Milieu angekommen

■ Die Firma Roeckel präsentierte in München den Dufthandschuh

München (taz) – Zärtlich streicht Gerhard Müller mit der linken Hand über das schwarze Suede-Leder des Handschuhs in seiner rechten. Zwischen den Liebkosungen stößt er hervor: „Innen reine Naturseide, außen reichlich vier Zoll Saumlänge und drei geschwungene Aufnähte. Handgenäht.“ Er hebt das samtig glänzende Kunstwerk zur Nase, schnuppert, haucht ekstatisch: „Das ist das florale Milieu, wo wir hinwollten.“ Rosenduft entströmt dem Lederüberzieher. Drei Monate hat Müller – Chefdesigner beim Münchener Handschuhspezialisten Roeckel – am Dufthandschuh gewerkelt. Aus epochalem Anlass: Der deutsche Marktführer feiert 160-jähriges Firmenjubiläum.

Müller wedelt den Jubiläumshandschuh, haucht: „Wir haben gewissermaßen einen kulturellen Auftrag.“ Den tut Mit-Firmenleiterin Anette Roeckel neben ihrem Papa und Geschäftsinhaber Stefan Roeckel stolz kund: „Vor 160 Jahren boten wir dem Kunden den besten Handschuh und heute tun wir es auch.“ Wahrhaftig. 1839 machte sich Anettes Urururgroßvater vor den Toren Münchens selbstständig. Heute lässt der Familienbetrieb 940.000 Handschuhe im Jahr größtenteils von Hand nähen – in Rumänien. 50,7 Millionen Mark Umsatz haben sich die Roeckels im vergangenen Geschäftsjahr so zusammengeschneidert.

Handschuhkultur pflegt die Dynastie im Archiv. Neben firmeneigenen Kreationen beherbergt es auch Höhepunkte der Überzieher-Historie. Hier suchte Müller auch Inspiration fürs Jubiläumsmodell. Und fand im 16. Jahrhundert die Marotte des spanischen Adels, Handschuhe mit Kräutern und Essenzen gegen Gerbgeruch und Körperdünste zu feien.

230 solcher serienreifer Ideen braucht Müller jedes Jahr für die Roeckel-Kollektionen. Er findet sie bei Ledermessen in Bologna, Strickausstellungen in Florenz oder beim Gang durch die Stadt. Das Ergebnis der Recherchen für 1999: Schlamm- und gebrannte Erdfarben, Blue Navy, aber auch ein Comeback des Weiß. Und „ein Überschwappen des Tunnelzuges in die klassische Mode“. Hingegen favorisiert der Experte den klassischen Handschuh aus dem Peccary-Wasserschwein: „Dieses weiche Leder liebe ich ohne Futter direkt auf der Hand, eng wie eine zweite Haut.“

Rosig schaut die Zukunft des Dufthandschuhs für Müller aus: „Man will weg vom synthetischen Designer-Duft, hin zu blumig-fruchtigem. In Frankreich ist Damenunterwäsche mit Apfelduft momentan extrem gefragt.“ Den klassischen altenglischen Rosenduft hat Müller mit Zedernholz und Lavendel zum „Eau de Gants“ komponiert.

Sollten Deutschlands Handschuhträger am 15. Oktober nicht die 22 Roeckel-Filialen stürmen, um 198 Mark für Rosen an den Händen auszugeben, ist dem Jubiläumswerk ein Platz im Archiv vorbehalten. Neben Müllers Ben-Hur-Handschuh. Die Oberseite dieses gewagten Design-Experiments bestand aus Lederriemen. Eine Viertelstunde dauerte das Hineinschlüpfen. Müller seufzt: „Das war wohl zu viel. Aber dieses Bondage-Gefühl hatte schon etwas.“ Konrad Lischka

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen