Materialreichtum bleibt ungenutzt

Lazio Rom wechselt beim 1:1 in der Champions League gegen Bayer Leverkusen manchen Star erst gegen Ende ein und bekommt zur Strafe selten den Ball    ■ Von Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – Das muss man sich mal vorstellen: Da wird ein internationaler Vereinswettbewerb ausgetragen, der hochrangigste, den es in Europa gibt, und dann kann es sich ein Club erlauben, in der Startelf auf einen Marcelo Salas, Diego Simeone und Pavel Nedved zu verzichten. Reiner Calmund konnte sich nach dem 1:1 im Auftaktspiel des Vizemeisters Bayer Leverkusen in der Champions League gegen Lazio Rom gar nicht mehr beruhigen ob dieses gegnerischen Reichtums an „Material“. Immer und immer wieder zählte der Manager auf, wer bei den Römern alles auf der Bank gesessen hatte. Und als dann irgendwer ihn triezte – „ja, Calli, die wechseln einen Nationalspieler nach dem anderen ein und ihr bringt Brdaric“ –, da lachte Calmund. Erstens, weil den chilenischen Superstar Salas und einen Thomas Brdaric, der jüngst noch in der zweiten Liga seine Chancen vergab, tatsächlich Fußballwelten trennen. Und zweitens, weil gerade deshalb das Spiel den Manager zufrieden stimmte.

Bayer war gegen Lazio nicht sang- und klanglos untergegangen, sondern hatte unentschieden gespielt. Trainer Christoph Daum hatte vorher sogar mit drei Punkten „insgeheim gerechnet“. Und das ohne den verletzten Ulf Kirsten und mit wieder einmal modifiziertem System. Statt des in der Bundesliga bevorzugten 3-4-3 spielte Bayer mit Viererkette in der Abwehr und nur zwei Stürmern. Diese Leverkusener Elf war doppelt so viel am Ball wie die Gäste, die mit 35 Prozent Ballbesitz das schlechteste Resultat aller 16 Teams aufwiesen, die an diesem Starttag der Champions League im Einsatz waren.

Wahrscheinlich waren die Römer auch die defensivste Mannschaft des Tages. Nur ihr Trainer Sven-Göran Eriksson fand, bei seiner 4-5-1-Formation könne man von defensiver Ausrichtung nicht sprechen. Wie Calmund belegte Eriksson seine Ansicht mit Name-Dropping: Eine Mannschaft, in deren Reihen Stürmer Alen Boksic, Roberto Mancini als Halbstürmer und Spielmacher Sebastian Verón stünden, könne man kaum als defensiv bezeichnen. Wer das doch tun wollte, den konnte der Schwede belehren: „Wer nicht gut verteidigt, der kann auch nicht gut angreifen.“

Eriksson sagte aber auch: „Um Fußball zu spielen, braucht man den Ball.“ Da Lazio den zunächst selten hatte, war das Offensivspiel über weite Strecken der ersten Halbzeit nicht nur nicht gut, sondern fand gar nicht erst statt. Und auch defensiv gab es in einem Gefüge, das sich mit mathematischer Genauigkeit in seinen Reihen hin- und herschob, links außen eine Schwachstelle, die Bayer ausnutzte. Über die rechte Angriffsseite bereitete Bernd Schneider das 1:0 durch Oliver Neuville (14.) vor. Und wäre Frankie Hejduk auf eben diesem Flügel weniger ungestüm herumgerannt, hätte Leverkusen vermutlich noch ein paar mehr Chancen herausgespielt. Lazio hingegen hatte 40 Minuten keine Torgelegenheit aus dem laufenden Spiel, aber in der 18. Minute einen Freistoß, den Sinisa Mihajlovic zum Ausgleich nutzte. Mihajlovic gilt als einer der besten Freistoßschützen der Welt. In diesem Fall hatte er auch noch Schützenhilfe. Das fand jedenfalls Daum, der Torwart Adam Matysek Kritik nicht ersparen mochte: „Den muss man halten!“

Durch den Ausgleich verlor Bayer seinen offensiven Elan schlagartig. Mit etwas mehr Glück oder auch etwas mehr Konzentration hätte Boksic gen Ende der ersten Hälfte die Führung für Lazio erzielen können. Nach der taktisch hochklassigen ersten wirkte die zweite Hälfte fast unordentlich. Die Römer schoben ihre Reihen weiter nach vorne und wechselten einen Star von der Bank nach dem anderen ein. Bei Leverkusen stieg die Fehlerquote. „Acht bis zehn Situationen“ zählte Daum, in denen wegen „eines ungenauen vorletzten oder letzten Passes aus einer Situation keine Torsituation“ geworden war. Leverkusens beste Chance war ein Pfostenschuss von Neuville nach einer Stunde. Auf der Gegenseite vergab Simeone zwei Möglichkeiten. Risiken ging keines der Teams mehr ein.

Calmund freute sich über das „taktische disziplinierte Spiel“, mit dem Bayer dem Römer „Musterfußball“ Paroli geboten hatte. Noch tut Calmund gerne so, als sei Leverkusen in der Champions League wie Ulm in der Bundesliga. Aber eigentlich weiß er es besser: „Wir hatten gegen Lazio unsere Torchancen – na ja, wir sind ja auch keine Kirmes-Mannschaft.“

Bayer Leverkusen: Matysek - Hejduk, Kovac, Nowotny, Gresko (67. Beinlich) - Ramelow, Schneider, Emerson - Ze Roberto - Neuville (74. Brdaric), Reichenberger (83. Ponte)

Lazio Rom: Marchegiani - Negro, Nesta, Mihajlovic, Pancaro - Stankovic, Almeyda, Veron (51. Simeone), Lombardo, Mancini (76. Nedved) - Boksic (81. Salas)

Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Neuville (14.), 1:1 Mihajlovic (18.)