Forsch forschende Forschung

■ Auf der Frankfurter IAA präsentieren Ingenieure den neuesten Multimedia-Wahnsinn fürs Auto. Sie basteln an der Optimierung des Autoempfangs für digitales Radio und Fernsehen

Absurder kann ein Streit unter Ingenieuren nicht mehr werden. Es ging um das beste aller digitalen Systeme für den Rundfunkempfang im Auto: RTL lieh sich von Michael Schumacher einen Bugatti-Sportflitzer aus und wies auf dem Kölner Autobahnring nach, dass man bei Tempo 275 km/h noch ein stabiles digitales Fernsehbild nach der Norm DVB (Digital Video Broadcasting) empfangen kann.

Die Konkurrenten vom digitalen Radiosystem DAB (Digital Audio Broadcasting) waren alarmiert, denn schließlich lassen sich über beide Systeme Radioprogramme übertragen. Sollte sich DVB durchsetzen, wären 18 Jahre durchaus fruchtbarer DAB-Entwicklungsarbeit für die Katz gewesen. Die Ingenieure von Blaupunkt konterten ihrerseits mit Fernsehen über Radiofrequenzen. Der interessierten Öffentlichkeit wird dies in Reisebussen im Raum Hannover und in Bundesbahnzügen zwischen Frankfurt und Saarbrücken bereits vorgeführt.

Natürlich befindet sich all das noch im Pilotstadium, in dem insbesondere die technische Machbarkeit nachgewiesen werden soll. Auch sind die DVB-Ingenieure rund um den Braunschweiger Professor für Nachrichtentechnik Ulrich Reimers inzwischen „nüchterner“ geworden. Sie propagieren jetzt als realistisches Ziel den stabilen Radio- und Fernsehempfang in Autos bei etwa 120 km/h.

In einem groß angelegten Feldversuch wollen die Braunschweiger rechtzeitig zur Expo 2000 die Regionen Bremen bzw. Hamburg über Hannover bis Wolfsburg entlang der Autobahnen und in den Stadtzentren mit digitalem Fernsehen versorgen. Wolfsburg ist nicht zufällig dabei: VW ist größter Förderer des Projekts, weil man sich davon neue Absatzchancen verspricht. Schließlich arbeiten Automobilhersteller weltweit an Konzepten für die Versorgung der mobilen Renner mit Rundfunk und Telefonsignalen sowie einer Bordvernetzung für Computerkommunikation.

Obwohl das Ziel des vollkommen selbsttätig vor sich hinrollenden Autos noch weit entfernt ist, forschen die Forscher forsch vor sich hin. Ihre Vision: in jeder Kopfstütze ein LCD-Bildschirm für TV, Computer(-Spiele) und mobiles Internet-Surfen inclusive Online-Shopping. Aus „Gründen der Verkehrssicherheit“, so die mittlerweile geflissentlich eingeschobenen Einschränkungen, dürfte der Fahrer allerdings keine Sicht auf die Displays haben. Es sei denn, es handelt sich um Navigationssysteme, die den Chauffeur durch das Dickicht der Großstädte leiten sollen.

Ansonsten wird's den Fahrer wohl kaum stören, wenn die Kids auf den Hinterbänken die neueste Rennsimulation mit quietschenden Reifen im Dolby-Surround von der CD-ROM via bordeigenem Computernetz spielen. Auch die Medienanbieter überlegen schon, wie sie die neuen Techniken sinnvoll nutzen können. In den privaten Hörfunkstationen kursieren Ideen von animierten Werbeeinblendungen in das DAB-Programm: langsam füllt sich ein Bierglas auf dem Radiodisplay zum Spot einer Brauerei.

Allerdings ist die Industrie derart auf den mobilen Rundfunkempfang fixiert, dass sie die Entwicklung von Heimempfängern völlig vernachlässigt. Dabei käme der überragende Digitalklang eines DAB-Radios in der Wohnung sicher eher zur Geltung als im Auto mit seinen Nebengeräuschen. Heimgeräte nach der in Europa entwickelten Norm DAB zeigten auf der letzten IFA fast ausschließlich ostasiatische Hersteller.

Neben digitalem Fernsehen und digitalem Radio mit Bewegtbildübertragung droht demnächst noch weiterer Unfug im Auto: Ab dem Jahr 2002 soll das neue Mobilfunksystem UMTS eingeführt werden, das multimediales Blinken, Piepen und Zappeln auf bunten Handybildschirmen ermöglicht. Die Mobilfunkbetreiber basteln schon jetzt an zahlreichen Angeboten, die bis dato niemand gebraucht hat. Doch ausgerechnet von den Pilotnutzern der mobilen Rundfunktechnologien kommen die warnenden Stimmen. In einer Untersuchung zur Akzeptanz von DAB im hessischen Feldversuch empfanden 82 Prozent der Teilnehmer das Ablenkungs- und Gefahrenpotenzial von DAB-Datendiensten im Auto als „hoch“ oder „bedeutend“.

Während in anderen Ländern, wie Polen und der Schweiz, schon das simple Handy-Telefonieren im Auto verboten ist, darf in Deutschland anscheinend ohne Geschwindigkeitsgrenze fröhlich ferngesehen werden. Immerhin: Der neue Bundesverkehrsminister war lange Jahre Vorsitzender der SPD-Medienkommission und sollte Verständnis für die Problemlage mitbringen. Jürgen Bischoff