■ Kosovo und die Folgen (10): Ein Verbleib bei Jugoslawien kann nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden
: Gefahr für den Frieden

Demokratisierung bedeutet, den Willen der Bevölkerungsmehrheit zu respektieren

„Wir haben es geschafft“, sagte Außenminister Fischer bei seinem Besuch in Prizren. Die Erleichterung war ihm anzusehen. In der Tat: Die Nato-Truppen waren, ohne einen Schuss abzugeben, in die Provinz Kosovo einmarschiert; das Miloševic-Regime wurde gezwungen, nachzugeben; eine Million Vertriebene und Deportierte konnten in ihre Heimat zurückkehren; die westliche Allianz hatte sich so geschlossen gezeigt wie nie zuvor – eine Leistung, die sich sehen lassen kann.

Das gilt auch innenpolitisch: Der Troika aus Kanzler, Verteidigungsminister und Außenminister war es allen Widerständen zum Trotz gelungen, an der militärischen „Intervention für die Menschenrechte“ festzuhalten und die Mehrheit der Bevölkerung dafür zu mobilisieren. Ein demokratisches Deutschland hatte zusammen mit den westlichen Verbündeten gegenüber den Exzessen nationalistischer Extremisten Stellung bezogen. Der gerade in Bezug auf den Konflikt auf dem Balkan aufgestellten Forderung, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, wurde so entsprochen.

Um dieser Verantwortung jedoch in vollem Maße gerecht zu werden, reicht es nicht aus, auf den Lorbeeren der letzten Monate sitzen zu bleiben. Die deutsche Außenpolitik muss auf dem Balkan beweisen, dass sie über eine Strategie und einen langen Atem verfügt, um den Friedensprozess erfolgreich voranzutreiben. Daran sind nach den letzten Entwicklungen Zweifel angebracht.

Es ist an der Zeit, vor Fehlentwicklungen zu warnen. Die anfängliche Begeisterung der albanischen Bevölkerungsmehrheit angesichts des Nato-Einmarsches ist einer skeptischen Haltung gewichen. Sicherlich, die Menschen sind immer noch dankbar dafür, dass die Nato ihnen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht hat. Jedoch: Jetzt sind auch schon Konflikte zu erspüren, Kollisionen, die zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen führen können.

Indem die kosovo-albanische Bevölkerung glaubte, die Nato unterstütze die nationalen Ziele der Albaner, ist sie einem Missverständnis aufgesessen. Die Intervention der Nato richtete sich gegen Miloševic und seine Politik. Gleichzeitig akzeptierte sie die Unverletzlichkeit der Grenzen Miloševic-Jugoslawiens. Kosovo bleibt in dem Vertragstext von Rambouillet weiterhin Teil des serbischen Staates. Die Hoffnungen der Albaner, „Rambouillet sei tot“ (Bujar Bukoshi), nachdem Miloševic nicht unterzeichnet hatte, und man könne „in einem demokratischen Prozess“ doch noch die Unabhängigkeit erlangen, wurde zwar durch vor allem den USA unter der Hand gegebene Versprechungen genährt, in den Vertragstexten jedoch nicht fixiert. Das gilt auch für das Demilitarisierungsabkommen KFOR – UÇK und die UN-Resolution 1244.

Als UNO-Truppen im Februar 1992 in die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens einrückten, besaßen sie nur ein schwaches Mandat. Sie konnten nicht einmal offensichtliche Verbrechen verhindern. Das gilt auch für Bosnien, wo ethnische Säuberungen unter den Augen der UN-Soldaten vorgenommen wurden. Der Massenmord in Srebrenica hätte mit einem stärkeren Mandat und stärkerem Willen der internationalen Gemeinschaft verhindert werden können. Stattdessen muss sich die internationale Administration bis heute mit den Nationalisten herumschlagen.

Die Resolution 1244 für das Kosovo dagegen garantiert ein „robustes“ Mandat für die dortigen internationalen Institutionen, die KFOR-Truppen und die UN-Mission (Unmik). Damit haben diese ein Instrumentarium in der Hand, mit dem sie ihre Politik konsequent durchsetzen können. Zudem sind die politischen Koordinaten im Kosovo andere als in Kroatien oder Bosnien. Was dort richtig gewesen sein mochte, muss im Kosovo nicht richtig sein.

Ist das kosovarische Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit – nach all den Erfahrungen mit dem Apartheidsysytem, mit der systematischen Vertreibung, den Morden – wirklich so abwegig und unverständlich? Ist der Wunsch nach staatlicher Souveränität tatsächlich mit der Gedankenwelt eines Massenmörders wie etwa des ehemaligen bosnischen Serbenführers Karadžic gleichzusetzen? Dass serbische Häuser brennen, könnte in diese Richtung deuten. Aber dieser Vorgang hat nicht nur mit der Rache für Vertreibung und die Vernichtung des albanischen Eigentums durch die Serben, sondern auch mit der jetzigen Verunsicherung der Kosovo-Albaner selbst zu tun. Viele von ihnen befürchten – ob zu Unrecht oder nicht – die Wiedererrichtung der serbischen Herrschaft im Kosovo mit internationaler Unterstützung.

Die Nato-Begeisterung der Albaner ist einer skeptischen Haltung gewichen

Morde an wehrlosen Menschen ekeln an und fordern Protest heraus. Aber ist das Misstrauen der Kosovo-Albaner vollständig unbegründet? Warum sollten, wie der internationale Administrator Bernard Kouchner es wollte, die Gesetze des Miloševic-Staates im Kosovo weiter gelten? Gerade wegen dieser diskriminierenden Gesetze wurde Widerstand geleistet und schließlich Krieg geführt. Zudem zeichnet sich in Mitrovica eine internationale Strategie ab, die die Bildung ethnischer Enklaven zulässt. Gerade in Orahovac, dem Ort, wo die serbischen Soldaten und russische Freiwillige grausame Verbrechen begangen haben, soll nun die Stationierung russischer Soldaten durchgesetzt werden. Warum war es von Seiten der USA nötig, bei den Verhandlungen in Helsinki, die kurz nach dem Einmarsch der KFOR-Truppen stattgefunden haben, Russland schon damals die Stationierung seiner Truppen in Orahovac zu versprechen? Angesichts dieser Konstellation kann sich das „robuste“ Mandat zu einem Hindernis im Friedensprozess entwickeln. Wenn nämlich KFOR und Unmik versuchen sollten, die international ausgehandelten politischen Kompromisse mit aller Macht oder sogar mit Gewalt gegenüber den Kosovo-Albanern durchzusetzen, müssten sie mit Widerstand rechnen – was die KFOR-Soldaten auszubaden hätten.

Aber so weit ist es noch nicht. Kouchner hat in den letzten Tagen eine Kurskorrektur erkennen lassen. Trotzdem muss weiterhin betont werden, dass ein internationales Protektorat, das den Willen der Bevölkerungsmehrheit, ja mehr noch: ihren Freiheitswillen unterdrückt, nicht der Inhalt der internationalen Politik sein darf. Die deutschen Politiker sollten sich angesichts der jetzt erfolgten Entwicklungen genau überlegen, ob es richtig ist, an allen einmal festgeklopften Positionen auf Teufel komm raus festzuhalten.

Die versprochene Demokratisierung der Gesellschaft im Kosovo bedeutet nämlich, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, soweit er Menschen- und Minderheitenrechte nicht verletzt, zu respektieren. Fischer sollte auch noch nach einem halben Jahr sagen können: „Wir haben es geschafft.“ Erich Rathfelder