SPD-Theoretiker wollen nur ein bisschen modern sein

■ Die SPD-Grundwertekommission hat über dritte Wege nachgedacht. Ergebnis: Modernisieren ist gut, aber zu viel Markt schadet der Chancengleichheit. Sieh an!

Berlin (taz) – Das Ergebnis erst einmal vorweg: Den drittenWeg für sozialdemokratische Reformpolitik im Zeitalter der Globalisierung haben sie nicht gefunden. Und so heißt das Papier der Grundwertekommission der SPD denn auch „Dritte Wege – Neue Mitte“. Die Autoren, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Parteitheoretiker Thomas Meyer, Johano Strasser und Wolfgang Merkel legen Wert darauf, dass sie „kein Anti-Schröder/Blair-Papier“ verfasst haben.

Vielmehr geht es ihnen um „einen Brückenschlag vom Schröder/Blair-Papier zu einer zukunftsorientierten sozialdemokratischen Politik“, so Thomas Meyer, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Mit diesem „ersten Baustein der Programmdiskussion in der SPD“ (Thierse) versuchen die Autoren verschiedene sozialdemokratische Politikansätze „zu vergleichen und zu analysieren“. Thierse hofft so, die Oberflächlichkeit der Debatte, die sich in den vergangenen Wochen auf die Begriffe „Modernisierer“ versus „Traditionalisten“ verkürzt habe, zu überwinden.

Die Autoren teilen die Meinung von Schröder und Blair, dass Voraussetzungen für eine dynamischere Wirtschaftspolitik geschaffen werden müssen. Dafür müsse der Schuldenberg „entschieden“ abgetragen werden.

Das bedeute aber auch, so Strasser, dass Großunternehmen und ein „Großteil der Bestverdienenden“, die keine oder kaum Steuer zahlten, ihren Beitrag leisten müssten.

Gleichzeitig machen sie deutlich, dass eine Reduzierung der Sozialpolitik auf eine reine Armutshilfe nicht funktionieren kann, wenn nicht auch Menschen mit einem normalen Einkommen in den Genuss des Sozialstaates kommen. Sonst sei die gesellschaftliche Akzeptanz nicht gegeben und die Armen würden stigmatisiert.

Der Definition von sozialer Gerechtigkeit wird in dem Grundwertekommissions-Papier einen breiten Raum eingeräumt. Dort heißt es grundsätzlich: „Soziale Gerechtigkeit bedeutet gleiche Freiheitschancen im Sinne der Sicherung der äußeren Handlungschancen, der Sicherung wirklicher Mitwirkungschancen am politischen Entscheidungsprozess und die Gewährleistung der sozialen und kulturellen Voraussetzung für die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit.“ Dafür seien gleiche Chancen für Bildung, Ausbildung und Kultur sowie eine gerechte Verteilung der gesellschaftlich verfügbaren Arbeit Voraussetzung.

Soziale Gerechtigkeit könne aber nicht bedeuten: „die schlichte Herstellung von Vermögens- und Einkommensgleichheit, die simple Formel, dass sozial gerecht ist, was die Einkommens- und Vermögensungleichheit verringert“ oder den Sozialstaat, wie er aus dem Industriezeitalter entstanden ist, unverändert ins 21. Jahrhundert fortzuschreiben.

Detailliert stellen die Autoren die Politik von vier sozialdemokratisch regierten Staaten vor, die ein eigenes Profil in Programmatik und Politik aufweisen. Dabei handelt es sich um den „marktorientierten Weg“ von New Labour in Großbritannien, den „markt- und konsensorientierten“ in den Niederlanden, den „etatistischen Weg“ der Franzosen und die „reformiert-wohlfahrtsstaatliche“ Richtung in Schweden.

Keiner dieser Reformansätze lässt sich nach Meinung der Autoren einfach auf Deutschland übertragen, denn „es gibt keine Patentformel für soziale Gerechtigkeit“, alle Ansätze seien entscheidend von den unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen und politischen Kulturen geprägt, so Meyer.

Für sozialdemokratische Politik sei es kaum wegweisend, „mehr Markt“ als modern und „mehr Staat“ als nachteilig anzusehen, meinen die Autoren. Für entscheidend halten sie die Frage: „Wieviel Staat und wieviel Markt muss in der Abwägung von Stärken und Schwächen für jedes einzelne Politikfeld eingesetzt und miteinander kombiniert werden?“ Karin Nink