Arbeitslose machen das Endlager sicher

■ taz-Serie „Jeden Tag ein guter Grund für den Atomausstieg“: Schwedens Atommüll soll für ewig im Urgestein verschwinden

Stockholm (taz) – Schwedens Atomindustrie hatte das Atommüllproblem schon vor zehn Jahren gelöst. Auf dem Papier. Keine Wiederaufbereitung, sondern direkte Endlagerung, lautet das Konzept. Und nicht der Staat, sondern die Kraftwerksbetreiber selbst wurden für den Atommüll für zuständig erklärt. Kommt der Bau eines Endlagers nicht in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts in Gang, droht Stockholm Reaktor-Betriebserlaubnisse nicht mehr zu verlängern.

Das Vorhaben der von den AKW-Firmen gegründeten Atommüllbeseitigungsgesellschaft SKB wirkt schlüssig: Die abgebrannten Brennelemente werden erst in Stahl-, dann in Kupferbehälter eingeschlossen. Diese werden mit hochverdichtetem Bentonit umgeben und im schwedischen Urgestein versenkt. In einem fünfhundert Meter tiefen Tunnelsystem sollen sie dort sogar die nächste Eiszeit überstehen können.

Ein geniales, ein sauberes, ein sicheres Konzept. Sollte man meinen. Denkt man zumindest bei der SKB. Merkwürdigerweise hat sich bislang aber jede für einen Standort des Endlagers ausgewählte Kommune beziehungsweise deren EinwohnerInnen mit Händen und Füßen gegen dieses großzügige Geschenk gewehrt. Auch wenn nicht nur nationale Ehre winkte, sondern auch mit Bestechung in Form hunderter neuer Arbeitsplätze gelockt wurde.

Viele GeologInnen allerdings, die nicht auf der Lohnliste der SKB stehen, meinen nämlich, das schwedische Urgestein sei keinesfalls so sicher und unbeweglich, wie die Atomindustrie in millionenschweren „Aufklärungs“-Kampagnen seit Jahren behauptet. Und schon gar nicht so frei von Rissen und Verwerfungen wie erwünscht.

Misstrauen wird auch geschürt von der SKB-Taktik selbst. Denn wie ist es zu erklären, dass angeblich gerade unter denjenigen Kommunen das sicherste Urgestein ruht, in denen die Arbeitslosenrate ganz besonders hoch ist. Oder dort, wo eh schon ein Atomreaktor steht. Zu durchsichtig ist die Politik, auf geringere „Atomangst“ bei denen zu setzen, die entweder bereits eine Atomanlage vor der Tür haben. Oder aber Hoffnung auf neue Arbeitsplätze und einen Aufschwung für abgelegene Gemeinden zu machen.

So liegt man bei SKB schon jetzt im Zeitplan ziemlich weit. Im vergangenen Jahr sollten nach den ursprünglichen Planungen eigentlich Detailstudien für zwei alternative Endlager-Standorte vorgelegt werden. Aber bis zum heutigen Tage hat man nicht einmal eine einzige Kommune gefunden, die willig ist, als Atommüllklo herzuhalten.

Noch ist Platz in den Zwischenlagern der einzelnen Atomkraftwerke, doch kommt ein Bau nicht spätestens bis zum Jahr 2003 oder 2004 in Gang, wird es eng für die Betreiber. Bei der SKB findet man es vermutlich alles andere als hilfreich, dass das Endlagerkonzept auch von einem neuen Blickwinkel her gerade insgesamt in Frage gestellt wird. Als ungefährlich wurde es bislang beschrieben, sollte eine Atommüllkapsel dort tief unten doch irgendwann einmal zu Bruch gehen: Auch bei Kontakt mit Wasser könne dann nichts Gesundheitsgefährdendes ausgewaschen werden und ins Grundwasser gelangen.

Forschungen am kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory haben aber ergeben, dass Plutonium in abgebrannten Brennstäben offenbar viel mobiler ist, als bislang angenommen und sich in Form minimaler Partikel im Grundwasser verbreitet. Wahrlich eine Herausforderung für die SKB: Sie wird nun testen können, wie hoch die Arbeitslosenrate liegen muss, damit auch beim Stichwort „Plutonium im Grundwasser“ in einer Kommune nicht der „Nein, danke!“-Vorhang fällt.

Reinhard Wolff