Ein Hauch von Widerstand

Der Kreuzberger Mehringhof, einstiges „Terroristennest“, wird 20 Jahre alt. Noch heute wird hier linke Politik gemacht. Doch die Bedeutung für die linke Szene ist verloren  ■   Von Sabine am Orde

Das Paar, beide Ende 40, sie im schicken Kleid mit Pumps, er mit Schlips und Jackett, blickt sich suchend um. Durch das Fenster werfen sie einen skeptischen Blick ins „Ex“, der Kneipe im ersten Hof. „Hast du das Plakat gesehen: 'Dem Staat die Kralle zeigen‘?“, fragt der Mann irritiert. Er scheint wenig Verständnis für militante Anti-AKW-Politik. Im zweiten Hof werden sie fündig. Mehringhof-Theater steht über der Tür, die er mit seiner Frau ansteuert.

Christian Luschtinetz, Mitinhaber des Theaters sagt: „Wir haben inzwischen oft Zuschauer, die sich ansonsten nicht hierher verirren würden.“ Auch Rosanna Hopp vom Fahrradladen, hat öfter neue Kunden. „Bei uns kaufen alle vom Krawattenträger bis zum Punk“, sagt sie. „Das war mal anders.“

Doch auch heute, 20 Jahre nach der Gründung des Mehringshofs an der Gneisenaustraße in Berlin-Kreuzberg, schwebt noch ein „Hauch von Widerstand und Untergrund“ (Zitty) über der einstigen Autonomenhochburg. Dabei sind die Zeiten, in denen Berlins damaliger Innensenator auf dem Hinterhofgelände „ein Zentrum für das terroristische Umfeld“ ausmachte, lange vorbei. Für den stellvertretenden Leiter des Berliner Staatsschutzes, Stephan Schlange-Schöningen, steht der Mehringhof steht nicht mehr im Brennpunkt seiner Beobachtungen: „Er ist nicht mehr das zentrale Anlaufs- und Koordinationsprojekt der Szene.“

Clara Luckmann, eine der beiden GeschäftsführInnen des Mehringshofs, kann sich kaum an die letzte Hausdurchsuchung erinnern: „Das ist Jahre her.“ Inzwischen lasse sich die Polizei allenfalls blicken, wenn eingebrochen wird. Und der Kontaktbereichsbeamte geht im Fahrradladen einkaufen. Man habe ihn aber gebeten, in Zivil zu erscheinen.

Luckmann sitzt in einem kleinen Büro im ersten Stock, das sie sich mit ihrer Kollegin und zwei Hausmeistern teilt. Trotz aller Veränderungen werde im Mehringhof noch immer radikale Politik gemacht, meint Luckmann. „Der Mehringhof ist das, was die Projekte daraus machen.“

Dominique John arbeitet beim Forschungszentrum für Flucht und Migration (FFM), das seit fünf Jahren die „verheerenden Zustände an der deutschen Ostgrenze“ recherchiert und kritisiert. Seiner Ansicht nach hat der Mehringhof seit der Wende an Bedeutung verloren. Die linke Szene habe sich – gerade im Ostteil der Stadt – ausdifferenziert und umorientiert. „Heute ist der Mehringhof nur noch ein Punkt von vielen.“

Die Fluktuation unter den 31 Projekten, die derzeit die 5.000 Quadratmeter der alten Fabrik mit ihren drei Höfen bevölkern, ist gering. Einige Projekte, wie der politische Förderfonds Netzwerk, der Gesundheitsladen, der türkische Arbeiterverein, der linke Stattbuch-Verlag und der Bioladenlieferant Ökotopia sind schon von Anfang an dabei.

Frieder Rörtgen vom Buchladen „Schwarze Risse“ fühlt sich hier wohl, „denn trotz aller Veränderungen ist der Mehringhof eines der großen politischen Projekte in Berlin geblieben“. Auch nach 15 Jahren funktioniert der Laden noch als Kollektiv: „Die wenigen Versammlungen zum Kosovo-Krieg haben dann eben doch hier stattgefunden.“ Im Buchladen liegen zahlreiche linke Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter aus, die Regale zu Nationalsozialismus, Antifa und Feminismus sind gut sortiert. „Internationalismus war früher auch ein Schwerpunkt“, sagt Rörtgen, „aber das ist inzwischen echt ein Problem.“ Der Buchladen komme nur knapp über die Runden, sei eben sehr von den Bewegungen abhängig: „Das ist manchmal tragisch.“

Den Anstoß für das gemeinsame Projekt gab vor 20 Jahren die Schule für Erwachsenenbildung (SfE), die inzwischen ebenfalls mit mangelnder Nachfrage zu kämpfen hat. Ende der Siebzigerjahre sah das noch anders aus: Damals suchten die VerfechterInnen alternativer Lernformen dringend ein größeres Dach über dem Kopf. Nachdem sie zufällig auf den heutigen Mehringhof stießen, ein 5.000 Quadratmeter großer Hinterhofkomplex, zogen LehrerInnen und SchülerInnen Kredite und TeilhaberInnen an Land und kauften für 1,7 Millionen Mark das Fabrikgelände der Druckerei Berthold. Schnell zogen politische Projekte und selbstverwaltete Betriebe ein und gründeten einen Mieterverein, in dessen Besitz die Immobilie nach und nach übergehen sollte. Die Umwandlung der GmbH lässt weiter auf sich warten. Auch mit gemeinsamer Politik und der Selbstverwaltung ist es schwieriger geworden. Clara Luckmann empfindet es anonymer: „Wir diskutieren weniger.“ Einen Großteil der Arbeit des Gesamtprojekts machen heute GeschäftsführerInnen und Hausmeister, auch wenn Putz- und Hofdienste erhalten geblieben sind. Auf der monatlichen Mieterversammlung, wo alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden, sieht man stets die zehn selben Personen. Die meisten sind inzwischen ergraut. Clara Luckmann schätzt das Durchschnittsalter im Mehringhof auf 40 bis 50 Jahre.

„Jedes Projekt arbeitet so vor sich hin“, sagt Peter Finger vom Netzwerk, „und damit haben auch alle genug zu tun.“ Schließlich sei man aus der Studentenzeit raus, wo alle noch Zeit hatten. Viele hätten jetzt Kinder. Der Nachwuchs im Mehringhof aber fehlt. Ein Grund die Kneipe „Ex“ weiterzuführen. Sie stand vor zwei Jahren kurz vor dem Aus, als das alte Betreiberkollektiv die Miete nicht mehr zahlen konnte. Seitdem organisieren über zehn Politgruppen – durchweg junge Leute – ehrenamtlich den Tresendienst, Veranstaltungen und Soli-Parties. Geburtstagsfeier: heute ab 14 Uhr, Gneisenaustraße 2a