Warum, Frau Röstel?

■ Gunda Röstel, Parteichefin und Spitzenkandidatin in Sachsen, hat die Wahl für die Grünen zur Schicksalsentscheidung gemacht – unfreiwillig

Dresden (taz) – Trauerkleidung. Vorn ein Sarg, hinten ein Sarg. Dazwischen Gunda Röstel. Sie hält einen Blumenkranz mit Schleife. Ruhe sanft. „Nein, nein“, sagt die Grünen-Chefin, „wir tragen hier nicht die politische Zukunft von Gunda Röstel zu Grabe.“ Der Trauerzug richtete sich am Donnerstag vielmehr gegen die von der Regierung Biedenkopf beschlossene Sparkassen-Holding, die den Tod der regionalen Sparkassen bedeutet. „Also bitte keine Missdeutungen!“

Eingebrockt hat sich Gunda Röstel mögliche Missdeutungen selbst. Am Montag erklärte sie auf die Frage eines Journalisten, dass sie – die sächsische Spitzenkandidatin – natürlich Verantwortung für eine Wahlschlappe zu tragen wisse. Sofort sprossen wildeste Spekulationen. Das könne nur „Rücktritt“ als Parteisprecherin bedeuten. Renate Künast wurde sogleich als potenzielle Nachfolgerin gehandelt. Die Medien sprachen von Gedankenlosigkeit und fragten: Warum hat sie sich schon vor der Wahl selbst gerichtet?

Also warum, Frau Röstel? „Ehrlich gesagt, bin ich von den Schlussfolgerungen überrascht.“ Erstens sei Verantwortung eines Spitzenkandidaten für das Ergebnis selbstverständlich. Zweitens war ihre Antwort doch nicht neu. Vor zwei Wochen hatte Röstel erklärt, mit ihrer Kandidatur habe sie sich „auf ein hohes persönliches Risiko eingelassen“. Vor drei Wochen: „Ich stehe in Mitverantwortung“. Das widerspricht den Spekulationen nicht zwingend. Passend zum Szenario wurde am Montag auch eine Amtsmüdigkeit Röstels diagnostiziert. „Zugegeben“, sagt die Grünen-Sprecherin, „es macht momentan wenig Freude, immer diese Wahleinbrüche kommentieren zu müssen.“ Aber amtsmüde? Nein, dazu mache ihr der Wahlkampf viel zu viel Spaß.

Vielleicht muss einfach nur geklärt werden, was Gunda Röstel als Wahlschlappe versteht. „Die Grünen liegen im Osten inzwischen unter zwei Prozent. Wenn es uns gelingt, diesen Trend zu stoppen, wäre ich schon zufrieden.“ Röstel nimmt das Wort „Landtag“ gar nicht erst in den Mund. Ist das eine neue grüne Bescheidenheit, oder baut die Parteichefin nur vor?

„Ich habe das am Montag so gesagt, um den Rücken frei zu bekommen.“ Inzwischen gebe es kein Interview mehr ohne diese Zukunftsfrage. Gunda Röstel möchte Herrin des Verfahrens bleiben. Natürlich weiß sie, dass ihre Gegner zum Schlag ausholen werden. Genauer betrachtet muss aber auch ihren Kritikern klar sein, dass es zur Spitzenfrau aus dem Osten derzeit keine Alternative gibt. Nach dem grünen Ostdebakel kann die Partei nur schwerlich ihre profilierteste Ostdeutsche opfern wollen. Die Grünen können sich zudem keine neuerliche Personaldebatte leisten, zumal eine solche auch die Diskussion über den Sinn der Doppelspitze entfachen würde. Und das riecht nach gigantischem Zündstoff.

Entsprechend heftig war die Reaktion der Partei. Seit Dienstag klingelt laufend das Röstel-Handy. Gunda, du darfst nicht hinschmeißen, forderten die Parteifreunde – darunter viel Prominenz. Röstel entgegnet immer nur: „Das will ich doch gar nicht!“ Das mag ja sein. Wenn ihr Ergebnis aber unter Thüringens, unter Brandenburgs 1,9 Prozent liegt, wird die Luft sehr dünn. Nick Reimer