Die grüne Strategiedebatte ist eröffnet

■ Ein neues Papier der Parteilinken teilt tüchtig aus. Zielscheibe: Schröder, die SPD, grüne Realos. Eigene Vorschläge Mangelware

Berlin (taz) – In die Strategiediskussion von Bündnis 90/Die Grünen kommt Bewegung. Die Zahl derer in der Partei wächst, die nach der jüngsten Serie von Wahlniederlagen Konsequenzen fordern. Die Parteivorsitzende Antje Radcke hat gestern ein Strategiepapier des Bundesvorstands angekündigt. Nachdem bereits vor einigen Wochen über Strömungsgrenzen hinweg in kleineren Gruppen über die Zukunft der Grünen diskutiert worden war, formiert sich jetzt die Linke. Am Wochenende sollen Einzelheiten eines für den 3. Oktober in Berlin geplanten Treffens festgeklopft werden.

Derzeit wird an der Abfassung einer Resolution und an mehreren Strategiepapieren gearbeitet. Das erste liegt bereits vor, verfasst vom ehemaligen Europaabgeordneten Frieder Otto Wolf und von Frithjof Schmidt, früher Mitglied des Bundesvorstands. Die Autoren, die sich vor allem mit wirtschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen, üben darin scharfe Kritik am Kurs der Bundesregierung.

Die „Schröder-Hombach-Clement-Connection“, so die Verfasser, habe bereits im Wahlkampf versucht, „programmatische Eckpunkte eines rot-grünen Reformprojektes auszuhöhlen“. Mittlerweile habe sie den internen Machtkampf in der SPD gewonnen. Die SPD-Linke sei „marginalisiert“ worden: „Rot-Grün als gesellschaftspolitisches Projekt war damit zu Ende, bevor es begonnen hatte.“ Die Koalition nehme derzeit „deutlich die Züge eines eher machtpolitisch motivierten Regierungsprojektes“ an.

Über Koalitionen muss nach Ansicht von Schmidt und Wolf künftig auch mit Parteien wie der CDU oder der PDS verhandelt werden: „Nach der 'Verschröderung‘ der Sozialdemokratie wäre jede privilegierte politische Bindung der Bündnisgrünen an die SPD eine politische Dummheit.“ In Zukunft sei die Frage entscheidend, wer „die größten Zugeständnisse an grüne Ziele macht“.

Über diese Ziele besteht nun allerdings innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen keineswegs Einigkeit. Das Strategiepapier geht auch mit dem so genannten realpolitischen Flügel der Partei hart ins Gericht: „Die Parteirechte betreibt mit ihrem Anpassungskurs an Schröders 'Dritten Weg‘ eine Rechtsverschiebung des Konzeptes der 'geborenen Partnerschaft‘, statt sich aus dieser Falle der Erpressbarkeit zu befreien.“

Die Vorschläge dieses Flügels seien politisch wenig plausibel: „Im Wettstreit mit der FDP die soziale Argumentationslinie des 'Dritten Weges‘ mit wirtschaftsliberalen Positionen nach rechts zu verschieben und die ökologische Frage in diesem Kontext primär als Problem der umweltorientierten Technikförderung zu behandeln“, löse die Probleme nicht. „Der strategische Wechsel von einer sozial-ökologischen Kraft zu einer kapital-ökologischen Abteilung des Liberalismus verengt die gesellschaftliche Basis grüner Politik gerade in Umbruchzeiten.“

Mit Blick auf das geplante neue Grundsatzprogramm fordern die Autoren, „ins Zentrum der Debatten um die Zukunft der Erwerbsarbeit und die Wege des ökologischen Umbaus die Auseinandersetzung um die Entwicklung einer ökologischen Industriepolitik mit produktbezogenen Förderstrategien zu rücken.“

Die Zukunft von Bündnis 90/Die Grünen soll allerdings nicht nur inhaltlich diskutiert werden. Gefragt ist auch eine bessere Logistik: Vor allem die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr sollen strategisch besser vorbereitet werden. Dementiert wurde gestern indes eine Meldung, derzufolge Außenminister Fischer Chef einer Wahlkampfzentrale nach SPD-Vorbild werden soll. Bettina Gaus