Tops und Flops aus dem ersten Jahr

■ Wie sich das Ansehen der rot-grünen Regierung in der deutschen Öffentlichkeit so drastisch verändern konnte

Zeit bringt Rosen und nimmt sie wieder hin. „Das Ansehen von Bundeskanzler Schröder ist weiter gestiegen“, so dpa. „Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa votierten 48 Prozent der Befragten für Schröder und nur noch 19 Prozent für Schäuble.“ Tiefpunkt für den Oppositionsführer, Höhenflug des ersten sozialdemokratischen Kanzlers nach 16 Jahren CDU-Herrschaft. Das war im März.

Dabei war die rot-grüne Koalition längst in schweres Wasser geraten: Koordinationsprobleme, öffentlicher Streit um den künftigen Kurs, hastig zusammengeschusterte Gesetzesvorlagen, die ebenso hastig nachgebessert wurden – all das erweckte den Eindruck mangelnder Professionalität und Orientierungslosigkeit. Allzu lange hatte die Zeit in der Opposition gedauert. Niemand im neuen Kabinett hatte Erfahrung mit einem Regierungsamt auf Bundesebene.

Nach der Niederlage bei den hessischen Landtagswahlen im Februar und dem damit verbundenen Verlust der Bundesratsmehrheit verabschiedete sich die Bonner Regierung widerstandslos und unzeremoniell von einem Projekt, das noch bei den Koalitionsverhandlungen als Symbol für den Politikwechsel gefeiert worden war: der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Umweltminister Jürgen Trittin zog seinen Entwurf für ein neues Atomgesetz zurück, das Ende der atomaren Wiederaufbereitung, vorgesehen für das Jahr 2000, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Das von Schröder zur „Chefsache“ erklärte Bündnis für Arbeit hat bis heute zu keinerlei greifbaren Ergebnissen geführt. Erste Maßnahmen der neuen Bundesregierung sollten vor allem den sozial Schwächeren zugute kommen: die Erhöhung des Kindergelds, ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und der gesunkene Eingangssteuersatz für Niedrigverdiener. Aber die erfreulichen Meldungen gingen unter im öffentlich ausgetragenen Streit über die Neuregelung der 630-Mark-Jobs und das Gesetz zur Scheinselbstständigkeit.

Selbst im Bereich der Außenpolitik wurde die Nachrichtenlage nicht von den Themen bestimmt, die sich die Regierung gewünscht hatte. Für die Modalitäten der umfassenden Agrarreform „Agenda 2000“ im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft interessierte sich kaum jemand für sie. Der völkerrechtlich umstrittene Kosovo-Krieg beherrschte die Diskussion. Bei den Europawahlen am 13. Juni erlitten Grüne und SPD herbe Verluste. „Wir haben verstanden“, sagte Bundeskanzler Schröder damals. Was er verstanden hat und was er verstehen sollte, darüber dauert der Streit an. Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine Koalitionsregierung abgewählt worden, niemals hat eine neue Regierung so schnell den Rückhalt in der Bevölkerung verloren.

Aber was für die Ministerrunde galt, galt zunächst nicht für den Kanzler. Ob er in der Fernsehsendung „Wetten, dass ...?“ auftrat oder beim Europaparteitag der SPD in Saarbrücken wetterte, in Brüssel werde deutsches Geld „verbraten“: Stets traf er den Ton der Mehrheit. Die Truppe stand für Chaos, der Feldherr für Vernunft und Augenmaß. Doch Schröder konnte nur so lange als Mann des Ausgleichs gelten, wie es jemanden gab, der die Rolle des Radikalen spielte. Völlig überraschend warf Oskar Lafontaine im März den Bettel hin und zog sich von seinen Posten als Finanzminister und als SPD-Vorsitzender ins Privatleben zurück. Seither sinkt der Stern des Kanzlers. Was einem Sieger verziehen wird, darf ein Verlierer noch lange nicht tun.

Auf dem Höhepunkt seiner Popularität erschienen Fotos, die Schröder in teurer Designermode zeigten. Damals galt Kritik an dieser Form der Selbstdarstellung als sauertöpfisch. Heute heißt Schröder der „Brioni-Kanzler“. Das öffentliche Urteil ist selten gerecht.

Ein bisschen Glamour wollte der eher biedere Niedersachse in der Politik einführen. Neue Gesichter sollten den Aufbruch mit frischem Schwung begleiten. Aber Schröder hatte mit seiner Personalpolitik eine wenig glückliche Hand. Der designierte Wirtschaftsminister Jost Stollmann trat seinen Job gar nicht erst an, und der Kulturbeauftragte Michael Naumann, für dessen Ernennung zum Staatsminister eigens ein Gesetz geändert werden musste, ist bislang weniger durch kosmopolitischen Glanz als durch seine Bereitschaft aufgefallen, von Finnland bis Bayern mit jedermann zu streiten. Gute Umfragewerte bekommen heute nicht die Paradiesvögel, sondern diejenigen, die als solide, seriöse Arbeiter gelten: Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Finanzminister Hans Eichel, der ehemalige Verkehrsminister Franz Müntefering und Gesundheitsministerin Andrea Fischer – also die Kabinettsmitglieder, die mit ihren Ressorts traditionell eher für die Verkündung unangenehmer Nachrichten zuständig sind.

Einzig Außenminister Fischer hat sich als Symbol des Wechsels halten können und ist inzwischen der populärste Politiker der Republik. Seiner Partei nützt das wenig. Auch SPD-Wähler bleiben an Wahltagen inzwischen in großer Zahl zu Hause. Sie beobachten verdrossen, wie die Partei sich in eine abstrakte Diskussion über das Schröder/Blair-Papier verstrickt, das fast beiläufig Grundsätze sozialdemokratischer Politik über Bord wirft.

Die Situation vom Jahresbeginn hat sich verkehrt: Damals bekam die Koalition von der Öffentlichkeit schlechte Noten, und der Kanzler wurde geliebt. Heute unterstützt eine Mehrheit das intern umstrittene Sparpaket von Finanzminister Eichel – und traut Gerhard Schröder nicht mehr viel zu. Noch hat er drei Jahre Zeit, um die Gunst der Wähler zurückzugewinnen. Bettina Gaus