Das ist doch ungerecht: Alle gegen einen

■ Bei der Spanienrundfahrt profitiert Jan Ullrich von der Uneinigkeit der spanischen Radrennställe – und ist goldiger denn je

Pamplona (taz) – Die gestrige Etappe über 95 Kilometer rund um Barcelona gewann im stömenden Regen Fabio Roscioli vor Massimiliano Lelli. Die beiden Italiener hatten sich als Ausreißer durch den strömenden Regen gequält. Der Rest des Feldes aber trudelte aus Protest gegen organisatorische Mängel gemütlich ins Ziel.

Die Entscheidung um den Gesamtsieg aber scheint bereits in den Tagen zuvor in den Pyrenäen gefallen zu sein. Der bis dahin führende Abraham Olano brach ein, und Jan Ullrich fuhr ins goldene Trikot. Dabei hatte Miguel Indurain Olano in seiner Zeitungskolumne noch erklärt, wie die Führung zu verteidigen sei: „Für die Bergetappen reicht es, wenn die Mannschaft sich die Arbeit gut aufteilt. Zwei am Anfang, zwei in der Mitte, zwei am Ende.“ Ganz einfach eigentlich.

Doch Manolo Saiz, der sportlichen Leiter des Once-Teams, beorderte auf der ersten Pyrenäenetappe alle seine Fahrer an die Spitze des Felds, um das Tempo aus dem Rennen zu nehmen. Am letzten Berg hinauf nach Pla de Beret allerdings wurde Olano von seiner ausgebrannten Mannschaft allein gelassen. Er kämpfte zwar wacker und verlor nur 28 Sekunden auf Jan Ullrich, der mit den übrigen Spitzenfahrern ins Ziel kam. Doch auf den folgenden beiden Bergetappen verlor er fast eine Viertelstunde und lag schließlich abgeschlagen auf Platz 12. Eine gebrochen Rippe, mit der er sich seit dem Sturz auf der achten Etappe herumplagte und mit der er am Samstagabend in Barcelona seinen Ausstieg aus der Vuelta begründete, wollte er als Entschuldigung für die schlechte Leistung am Berg nicht gelten lassen.

Bei jeder Schulhofschlägerei gilt alle gegen einen als ungerecht. Im Radsport nicht. Olano ist dem zum Opfer gefallen. Die spanischen Mannschaften Banesto, Vitalicio und Kelme wollten sich nach dem Sieg des Italieners Daniele Nardello (Mapei) in Pla de Beret nicht noch einen Tagessieg nehmen lassen und attackierten auf der Königsetappe mit Bergankunft in Arcalis. Der große Sieger der internen Rivalitäten zwischen den Vuelta-Gastgebern hieß Ullrich. In Andorra, wo er schon 97 den Grundstein für seinen Toursieg gelegt hatte, zog der 25-Jährige sich das Goldene Trikot über.

Als die große Entdeckung dieser Vuelta, der neue Gesamtzweite und Etappensieger in Arcalis, Igor González de Galdeano, auf der Königsetappe ausriss und Ullrich in der Gesamtwertung gefährlich nahe rückte, besorgte wiederum Banesto die Verfolgung. Denn Bergkönig Jose Maria Jimenez hätte gerne seinen zweiten Etappensieg herausgefahren.

In Arcalis erklärte Ullrich noch bescheiden, er sei glücklich, das Goldene Trikot wenigstens einen Tag überziehen zu dürfen, doch die Spanier würden sicherlich keine Gelegenheit auslassen, ihn anzugreifen. Doch bisher griffen sich die Spanier nur gegenseitig an. Ullrich dagegen ließ sich von kaum einem Angriff aus dem Tritt bringen, und mangels starker eigener Mannschaft regiert er in der Vuelta geschickt taktierend mit wechselnden Mehrheiten.

Auf der letzten Pyrenäenetappe am Samstag nach Rasos de Peguera, wo der in der Gesamtwertung abgeschlagene Alex Zülle siegte, löste sich Ullrich mit den Kelme-Kletterern harmonisch in der Verfolgungsarbeit ab. Die Kollaboration trug Früchte: Der bisherige Dritte, Pawel Tonkow, verlor 2:57 auf Ullrich und Roberto Heras. Der Kelme-Kapitän liegt dank der Hilfe des Deutschen nun hinter Galdeano auf Tonkows Platz drei. Ullrich dagegen ist goldiger denn je. Joachim Quandt