■ Press-Schlag: Wieder ballorientiert Ulm kehrt zu den eigenen Wurzeln zurück
Das ist selten. Ein Aufsteiger, der gleich zu Beginn der Saison so kräftig auf die Mütze kriegt und trotzdem nicht die Nerven verliert. Die Ulmer haben ganz schön zu schlucken gehabt bisher: Im ersten Spiel in der ersten Minute ein Eigentor, die Niederlage gegen Dortmund durch ein Abseitstor, dann der Rot-Rekord in Rostock. Vier Stammspieler gesperrt, und zu allem Unbill auch noch Sascha Rösler verletzt. Die halbe Mannschaft eliminiert – und das ausgerechnet vor einem der Spiele, die doppelt zählen: gegen einen Mitaufsteiger und potentiellen Mitabsteiger.
Was tut man als Bundesliganeuling normalerweise in so einem Fall, das Tabellenende vor Augen? Den Laden dicht machen, um möglichst ungeschoren über die Runden zu kommen. Sich mit Händen und Füßen und allen – auch unerlaubten Mitteln gegen die Niederlage wehren. Deutete nicht schon das Rostocker Karten-Festival in diese Richtung?
Vielleicht waren die Spieler in Rostock für eine halbe Stunde auf diesem Weg. Vielleicht glaubten sie, sich Respekt verschaffen zu müssen. Sie haben die Quittung erhalten und – wie es aussieht – daraus gelernt. Erste Lektion: Wenn wir uns auf die bedingungslosen Zweikämpfe einlassen, ziehen wir den Kürzeren. Oder: „Wir müssen den Ball aggressiv bekämpfen, nicht den Gegner.“ (Kapitän Phillip Laux). Zweite Lektion: Wir müssen das Spiel mit unseren ureigenen Mitteln gestalten.
Gesagt, getan. Im Heimspiel gegen Bielefeld war jedenfalls alles wieder beim Alten und Ulm zu seinem System zurückgekehrt. Wie hat es Ex-Trainer Ralf Rangnick genannt? Ballorientierte Raumdeckung? Eishockeymannschaften spielen so: schnell den Raum eng machen, den Gegner zu Fehlern zwingen. Im Ballbesitz ohne Zeitverlust nach vorne spielen. Ein offensives System, das sich simpel anhört, aber nur mit hellwachen Spielern zu realisieren ist. Anders formuliert: Neunzig Minuten intensive Laufarbeit, keine Pause für niemanden, denn zumindest indirekt ist jeder Spieler ständig in den Ablauf des Geschehens eingebunden. Ein System, in dem kein Platz für lässig trödelnde Starspieler ist. Und das eigentlich nur mit einer eingespielten Mannschaft umzusetzen ist. Umso erstaunlicher, dass auch das Ulmer „Ersatzteam“ das Spiel der Stammelf nahtlos fortführen konnte. Offenbar sind bei den Schwaben nicht nur die Spieler auf dem Platz ins System integriert. Trainer Andermatt: „Ich habe nie gesagt, meine Mannschaft hat nur elf Mann.“ Der überglückliche Torschütze Scharinger, der das Stadion nach Spielschluss im Alleingang dirigierte, bestätigte ihn: „Der Trainer hat mir nie das Gefühl gegeben, dass ich nicht mehr dazu gehöre.“ Das ist selten. Ein Verdienst des Schweizers, der nach der katastrophalen vergangenen Woche normal weitergearbeitet hat. Auch ein Verdienst des Umfeldes. Keine Dampfplauderer und Selbstdarsteller. Alles unspektakulär arbeitende Leute, die nicht die Nerven und damit den Überblick verlieren. Die Ulmer wären gut beraten, behielten sie ihr System bei. Albert Hefele
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