Ein schönes Begräbnis

Die Leipziger Ausstellung „Moving Images“ sucht das Faszinosum Kino in der bildenden Kunst  ■   Von Katrin Bettina Müller

Ratternd springt der 16-mm-Projektor an. Auf blassem Bild mit ausgefransten Rändern tritt uns Marlene Dietrich im Eckzimmer der alten Villa entgegen. Historische Aufnahmen illustrieren die Vision der Diva von ihrem Begräbnis in Paris: De Gaulle hat Staatstrauer angeordnet, zum Trauergottesdienst in Notre-Dame kommen alle in den Kostümen ihrer Filme, nur Jean (Gabin) wartet rauchend vor der Kirche. Besser ließe sich das Phantasma des Ruhms kaum darstellen, als in diesem mit den ärmsten Mitteln des Kinos gemachten Film des Amerikaners T. J. Wilcox.

Einen anderen Raum der Erinnerung hat Hans Peter Feldmann in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig eingerichtet. Seine Hommage gilt Theo Lingen, dem „Techniker der Komik“. Autogrammbilder, Alben, Zitate des Schauspielers – „Ich turne Ausdruck“ – und die mit kopierten Fotos beklebten Wände verraten eben so viel über die obsessive Sammelleidenschaft des Filmfans wie über die Lücken des kollektiven Gedächtnisses. Denn dort ist Lingen kaum als Schauspieler präsent, der in den Zwanzigerjahren unter Brecht die darstellerischen Konventionen verließ.

Wie die Filmgeschichte mit ihren Mythen an die Stelle der eigenen Biografie treten kann, beschäftigt Douglas Gordon in „Words and Pictures“. Das Kino wird ihm dabei zur Urhöhle, dunkel wie der Mutterbauch. Der Besucher versinkt in sackartigen Polstern, bereit, von den Bildern aufgesogen zu werden. Gespielt werden die Filme, die 1966 in Glasgow ins Kino kamen, als Gordons Mutter mit ihrem Sohn schwanger war.

In „24 Hours Psycho“ gelang Douglas Gordon 1993, die 24 Bilder der Filmsekunde auf ihre Informationen hin neu abzutasten und unter den veränderten Wahrnehmungsbedingungen der Langsamkeit eine neue Bildqualität zu entwickeln. Damit wurde der junge schottische Künstler zu einem der interessantesten Protagonisten einer Szene, die an der Schnittstelle von Kino und Kunst über den Stellenwert der Kinobilder im Gefühlshaushalt und für die Struktur unserer Wahrnehmung nachzudenken begann. Diese Auseinandersetzung wird umso wichtiger, je mehr Stunden wir in virtuellen Welten verbringen.

Doch leider schafft die Ausstellung „Moving Images. Film – Reflexion in der Kunst“ kaum den Sprung über eine Zustandsbeschreibung hinaus. Zu viel Faszination und zu wenig Reflexion treibt die fast dreißig Künstler an. Das Spiel mit den geborgten Bildern von Winnetou bis Hitchcock bleibt oft redundant. Intelligente Inszenierungen wie von Cindy Sherman oder dem Schweizer Paar Teresa Hubbard und Alexander Birchler, die dem Film entliehene Muster für eigene und neue Geschichten nutzen, fehlen. Zwar wird durchgängig auf dem Beipackzettel, den sich die Besucher laut in den einzelnen Räumen vorlesen, von Infragestellung des Systems, Entlarvung von Klischees, Brechung von Stereotypen und Dekonstruktion von Illusionen geredet. Über einen bescheidenen Aha-Effekt geht dies jedoch selten hinaus.

In den Achtzigerjahren bestimmte die Videokunst die Auseinandersetzung mit den Massenmedien. Dabei stand für viele Künstler wie Klaus vom Bruch die Semantik der Politik im Mittelpunkt, die immer mehr von den Formaten der Sender geprägt wird. In seiner Installation „Kino.Kino“ führt das zu etwas platter Ideologiekritik: Während im einen Bildfenster Fred Astaire und Ginger Rogers steppen, sieht man im anderen einen Ausschnitt aus der Rüstungsindustrie. Das kreisrunde Bildformat, die kontinuierliche Bewegung und der Stepprhythmus, der als metallischer Maschinentakt zu hören ist, stellen die Verbindung her, die etwa eine These von Friedrich Kittler illustrieren könnte: Alle Techniken, die Massenmedien und Unterhaltungsindustrie nutzen, stammen ursprünglich aus dem Bereich der Waffentechnik und militärischen Nachrichtenübermittlung. Nur eines mildert den Geruch strenger Belehrung: Vom Bruch projiziert die Bilder in Sand auf dem Fußboden und gibt ihnen damit eine Fragilität, die fast poetisch auf die Flüchtigkeit des Mediums reagiert.

Andere Künstler haben weniger Glück, was ihre Präsentation anbelangt. Monica Bonvicini hat für „Destroy she said“ einen Bildessay über Frauen und Architektur zusammengestellt: In die Ecke gedrängt, ausweglos, kurz vor dem Zusammenbruch, heulend, Halt suchend und mit dem Rücken zur Wand sieht man die Körper der Schönen gegen die harten Ränder der Welt prallen. Doch weil im gleichen Raum auf fünf weiteren Monitoren gesammelte Filmtitel und anderes aus den Archiven erbeutetes Strandgut läuft, fühlt man sich bald zum lustigen Schauspielerraten eingeladen. So gleicht der Besuch der Ausstellung mehr einem Blättern im Filmlexikon als einer Reflexion der Bilder.

„Moving Images“. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, bis 17. Oktober