■ Schnittplatz
: In Scharpings Welt

Rudolf Scharping sieht aus wie einer, der Platten von Chris de Burgh hört, um sich zu trösten. Sogar eine Typberatung hat er gemacht. Ende März ertrug Scharping die Stimme von Chris de Burgh in seinem Kopf nicht mehr. Um sie zu übertönen, ließ der Soldatenminister Kampfflugzeuge aufsteigen. Darüber führte er Tagebuch: „Wir dürfen nicht weghören“, aber der Ullstein Verlag änderte den Titel heimlich in „Wir dürfen nicht wegsehen“.

Seit dem 12. September drucken die Springer-Blätter Welt und Welt am Sonntag dieses Kriegstagebuch vorab. Warum? An Scharpings Notizen, die er um nachträgliche, rechthaberische Kommentare ergänzt hat, kann es nicht liegen. „Wetter: verdammt trübe Aussichten“, schreibt Scharping in Landserdeutsch und platzt schier vor Stolz, dass er mit wichtigen Männern telefonieren und seinen Untergebenen Anweisungen geben darf. Sein größtes Glück liegt im Glauben, dass Deutschland, also er, im Krieg gegen Jugoslawien nicht als Aggressor aufgetreten sei. Sein Ton changiert zwischen banal, jodelnd und wirr, und insgesamt enthält das Tagebuch den schon aus dem Fernsehen bekannten aufgepumpten Krakeel einer angstgesichtigen Fehlbesetzung, die sich für einen Politiker hält. In diesem Wahn stützt ihn die Welt. Mehr noch, sie teilt ihn und baut Scharping als eine Art Gegenschröder auf: der Rivale, wie in der Autowerbung. Munter wird in der Welt über eine Große Koalition unter Führung von Rudolf Scharping spekuliert. Und das Tagebuch weggedruckt, um Scharping zu popularisieren.

Gerhard Schröder ist der Kleinbürger als Großkotz – le petit bourgois est arrivé! Rudolf Scharping dagegen, der Kleinbürger im Zustand der permanenten Panik, ist der Anwalt der Deutschen ohne alles: ohne Charme, ohne Intelligenz, ohne Freude. Ihnen demonstriert Scharping, wie man aus einem Leben in fortgesetzter Selbstvermeidung eins in trotziger Selbstbehauptung macht. Diese eine Fähigkeit macht Scharping bei seinen Soldaten und anderem tankwartsdummem Volk beliebt. Und der Welt gefällt es auch. Wiglaf Droste