Bischof Lehmann im Kreuzfeuer

Ab heute beraten die katholischen Bischöfe in Fulda erneut über einem Ausstieg aus der Schwangerenberatung. Bischof Lehmann wird wohl wieder gewählt, doch sein Werk ist dahin  ■   Von Bernhard Pötter

Bis zur Selbstverleugnung hat Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, versucht, die vielzitierte Einheit der katholischen Kirche zu wahren: Jetzt rutscht sie ihm aus der Hand. Am Montag werden die deutschen Bischöfe zu einer ihrer folgenreichsten Vollversammlungen zusammentreten. Auf ihrem Tisch wird wahrscheinlich die Aufforderung des Papstes liegen, das System der staatlichen Schwangerschaftkonfliktberatung zu verlassen. Damit ist der latente Konflikt zwischen den Konservativen, wie Kardinal Meisner, der nun bestätigte, die letzte Konsultation des Papstes angeregt zu haben, und der liberaleren Mehrheit hinter Bischof Lehmann endgültig offen.

Am Wochenende predigte der Erfurter Bischof, Joachim Wanke gegen den Papst, mehrere andere Bischöfe stellten sich, wie auch zahlreiche Politiker und die katholischen Laien, hinter Lehmann, dessen Wiederwahl auf dieser Konferenz ansteht. Der schien zeitweise den Mut für eine erneute Kandidatur als Vorsitzender verloren zu haben. Jetzt stützt ihn eine Welle der Solidarität: „Bischof Lehmann ist ein Kämpfer“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Annette Schavan. Doch seine Position zwischen allen Stühlen gerät für den 63-jährigen Mainzer Bischof immer mehr zur Kluft: Bis jetzt vertrat er treu vatikanische Dekrete wie jenes, das die Laien von kirchlichen Ämtern und der Kanzel fernhielt, was unter den KatholikInnen im Lande heftigen Unwillen schürte. In Rom dagegen hat Lehmann den Ruf eines Liberalen, der den harten Kurs des Papstes in Dingen der Moral immer wieder geschickt an das wirkliche Leben anzupassen sucht.

Die Konsequenz: Rom behandelte Lehmann bei Fragen wie der Abtreibungsdebatte als lästigen Bittsteller. Mit beleidigender Hartnäkkigkeit verweigert der Vatikan außerdem seit Jahren dem Mainzer Bischof die Kardinalswürde; für den Vorsitzenden einer der wichtigsten Bischofskonferenzen der Welt eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Doch jetzt bekommt der profilierte Theologe Rückenwind aus den eigenen Reihen. Denn die deutschen Bischöfe, bislang die Musterknaben im Bischofsamt, spüren zum ersten Mal die harte Hand aus Rom, die sich um die theologisch eigentlich verbriefte Unabhängigkeit der Bischöfe vor Ort wenig schert. Gerade unter Johannes Paul II. hat der Vatikan wiederholt weltweit in die Angelegenheiten der Bischofskonferenzen eingegriffen: So wurde in der Schweiz der Hardliner Bischof Haas gegen den ausdrücklichen Willen der KatholikInnen eingesetzt, in Frankreich wurde der linke Bischof Jacques Gaillot kurzerhand in die Wüste geschickt. In den vergangenen 20 Jahren hat die römische Zentrale die Theologie der Befreiung in Lateinamerika mit bürokratischen Hindernissen lahmgelegt. Schließlich wurde das Kardinalskollegium so mit konservativen Vasallen besetzt, dass die nächste Papstwahl von ihnen dominiert wird.

Der Bonus als tragischer Held kommt jetzt auch Lehmann zugute. Die Empörung unter den „Amtsbrüdern“ ist groß, weil die konservative Riege und Führung des Kölner Kardinals Joachim Meisner und dem Fuldaer Bischof Johannes Dyba den einstimmigen Beschluss der Bischöfe vom Juni kippte. Die Kirchenfürsten, die sonst demokratische Prozesse für ihre Institution ablehnen, sind erbost: Ihre Entscheidung wird ganz oben einfach so kassiert, nur weil Meisner seine Kollegen beim Papst angeschwärzt hat. Eine große Mehrheit für den abgewatschten Lehmann wäre für die Bischöfe auch ein stummes Zeichen des Protests gegen Rom. Denn einen Aufschrei wird es kaum geben. Wenn der Papst den Ausstieg aus der Beratung dekretiert, wird kaum ein deutscher Oberhirte wagen, seinem Gewissen zu folgen und die Beratung weiter zu finanzieren.

Doch auch wenn Lehmann weitere sechs Jahre die deutschen Bischöfe leitet, steht er vor den Trümmern seiner Arbeit: Das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland ist zerrüttet wie lange nicht mehr. Das Nein aus Rom zum Abtreibungskompromiss beschädigt die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit der kirchlichen Institutionen gegenüber dem Staat. Schließlich war die deutsche „Scheinlösung“ vom Apostolischen Nuntius, Erzbischof Giovanni Lajolo, abgesegnet und von der Politik akzeptiert worden. Der so bloßgestellte Nuntius sei für weitere Aufgaben verbrannt und werde jetzt wohl zum Kardinal an die Kurie in Rom befördert werden, heißt es. „Die katholische Kirche ist für den Staat kein verlässlicher Partner mehr“, erklärte dann auch die grüne Kirchenpolitikerin Christa Nickels zu dem Verdikt aus Rom.

Aber auch die Bischofskonferenz wird nicht mehr die alte sein: Die Einheit der Oberhirten, bisher höchstes Gut, ist dahin: In Zukunft werde das Gremium seine Konflikte nicht mehr im brüderlichen Zank hinter geschlossenen Türen, sondern offen austragen, befürchtet ein Insider. Lehmann selbst ist mit seinem Kurs der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Kirche vorerst gescheitert. Denn der joviale Mainzer, der sich auch schon mal zu Thomas Gottschalk aufs „Wetten dass...“-Sofa setzt, steht wie kein anderer für die Integration der katholischen Kirche in die deutsche Gesellschaft. Die aber ist gerade seinen konservativen Amtsbrüdern Meisner und Dyba ein Dorn im Auge: Die Kirche sollte ihr Profil schärfen statt sich in der Welt und der Politik die Hände schmutzig zu machen, predigen die konservativen Verfechter eines innerkirchlichen Rollback. Außerdem hat Lehmann mit dem Ende der Ära Kohl auch seinen kurzen Draht in die oberste Ebene der Politik verloren. Mit Rot-Grün tun sich die Katholiken ungleich schwerer als mit den Christdemokraten.

Trost erfährt Lehmann derzeit vor allem von den Nichtklerikern, den Laien. Deren oberster Chef, Hans Joachim Meyer, hat dazu aufgerufen, ihn wieder an die Spitze der deutschen Bischöfe zu wählen. „Bischof Lehmann hat unser Vertrauen, er hat unsere Sympathie“, bekräftige Meyer. „Er ist ein wirklicher Brückenbauer.“ Da ist sie wieder, die leise deutsche Renitenz gegenüber Rom. Denn das Brückenbauen und nicht die Zerstörung von Verbindungen zur Gesellschaft ist laut Geschäftsordnung der katholischen Kirche vor allem Aufgabe des Papstes. Dessen lateinischer Titel lautet schließlich Pontifex Maximus – oberster Brückenbauer.