■  Die SPD am absoluten Tiefpunkt: Im einst roten Sachsen kommt sie gerade noch auf 10 Prozent. Umso mehr überrascht, dass Spitzenkandidat Kunckel noch gestern hoffte, bald Nachfolger von Kurt Biedenkopf zu werden
: Abruptes Ende eines Traums

Karl-Heinz Kunckel philosophierte zuletzt gern über die Zeit. Eine seiner Erkenntnisse lautete: Meine Zeit kommt noch. Schließlich hat die CDU in fünf Jahren keinen Biedenkopf mehr, sondern ein Problem. Nach Kunckels Philosophie sind es in fünf Jahren gar zwei Probleme: Das Biedenkopf-Vakuum einerseits, ein starker SPD-Spitzenkandidat Kunckel andererseits.

Eine grobe Fehleinschätzung. Mit etwas über zehn Prozent fuhr der SPD-Spitzenkandidat ein niederschmetterndes Ergebnis ein. Noch nie schnitt die deutsche Sozialdemokratie in ihrer jüngeren Geschichte in einem Land ähnlich schlecht ab. Diese Niederlage ist das Ende von Kunckels Traum: einmal Sachsen regieren zu können.

Noch am Mittag hatte Kunckel bei seiner Stimmenabgabe in Radebeul erklärt: „Ich werde auf keinen Fall zurücktreten.“ Doch bereits mit der zweiten Hochrechnung trat er im Sächsischen Landtag vor die Kameras und erklärte, nicht länger Parteichef sein zu wollen. „Ich werde morgen die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstanze Krehl bitten, die Geschäfte zu übernehmen.“ Ein Sonderparteitag solle so bald als möglich „einen neuen SPD-Landeschef bestimmen“.

Beim Begraben seinen Traumes hinterließ Kunckel freilich keineswegs einen betroffenen Eindruck. Und er brauchte auch nicht – wie Thüringens SPD-Landeschef Richard Dewes vor einer Woche – Zeit zum Verdauen seiner Niederlage. Kunckel wirkte bei seinem Rücktritt so routiniert, als wolle er den Geflügelzüchterverein von Ottendorf zu dessen hundertjährigem Bestehen beglückwünschen. „So ein Narziss“, kommentierte ein SPD-Anhänger die Szene.

Später freilich wirkt Kunckel anders. Als ihn ein Fraktionskollege umarmt und zum „Starkbleiben“ auffordert, entsteht eine bedrohliche Pause. „Muss ja, Wilhelm“, sagt Karl-Heinz Kunckel dann und versucht, seine Hände an irgend einen sinnvollen Platz zu bekommen. Dann erscheint Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer, um Kunckel die Schulter zu tätscheln und ein „Kopf hoch, Kollege!“ los zu werden. „Als Fraktionschef bleiben Sie uns doch aber erhalten oder?“ „Das“, sagt Kunckel mit einem überaus gequälten Lächeln, „entscheide nicht ich.“

Kunckel ist nicht zum ersten Mal kläglich gescheitert. Vor fünf Jahren erreichte er 16,6 Prozent – nur 0,1 Prozent mehr als die PDS. Trotzdem schmiss Kunckel nicht hin, bewarb sich erneut als Spitzenkandidat seiner Partei. „Bemerkenswert“, befand dies selbst Ministerpräsident Biedenkopf. „Woher hat Kunckel nur die Kraft genommen weiterzumachen?“

Die Parteibasis schätzte das ganz anders ein. Wir haben keinen Besseren, hieß es damals, und das war nicht als Lob gemeint. Schon vor dem Urnengang maulten einige SPD-Politiker öffentlich über Kunckel. Dresdens SPD-Chef Manfred Müntjes erklärte beispielsweise, man werde mit diesem Spitzenkandidaten wiederum kläglich scheitern. Hinter dem Rücken Kunckels wurde bereits Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee als neuer Parteichef genannt. Und auch nach der Wahlniederlage sagte der OB, dass er sich künftig stärker in die Landespolitik einbringen wolle. Kunckel dagegen erklärte bis gestern stets, am 20. September beginne nicht die Ära nach Kunckel. „Schließlich steht die Mehrheit der SPD hinter mir.“

Kunckel bot an, weiterhin den Vorsitz der arg geschrumpften SPD-Fraktion zu übernehmen, „wenn die Partei das möchte“. Für ihn ist das ein letztes Schlupfloch, doch seine Chancen sind gering. Gern rühmte er sich, so ganz anders als „König Kurt“ ein Auge für den politischen Nachwuchs zu haben. „Ich kann locker ein Dutzend Namen nennen, die fähig sind, die Partei zu führen“, erklärte er der taz noch vor der Wahl. Die werden jetzt auch nötig sein, um Sachsens SPD wieder flott zu kriegen. Karl-Heinz Kunckel jedenfalls ist am Ende. Es sei denn, die Genossen finden wieder keinen Besseren. Nick Reimer, Dresden