Verkehr in all seinen Varianten

■ Weil sich die Parteien im Vorfeld der Berliner Abgeordnetenhauswahlen nicht gerade inhaltslastig präsentierten: Ein Überblick über die unterschiedlichen Verkehrskonzepte

Eigentlich kann es den Parteien, die sich auch am 10. Oktober wieder zur Wahl des Abgeordnetenhauses stellen, ganz recht sein, wenn die Autofahrer tüchtig im Stau stehen. Umso mehr Zeit haben die Fahrzeuginsassen, sich die ausgeklügeltenWahlplakate anzusehen. Aber das gibt natürlich wieder keiner zu.

Ein Blick in die Wahlprogramme verrät, dass die SPD, Bündnisgrüne und PDS im Großen und Ganzen das Straßennetz für ausreichend halten und beim ÖPNV vor allem auf die billigere Tram setzen. CDU und FDP hingegen wollen mehr Teer für die Bürger und untergraben das Regierungsviertel. Für die U-Bahn, versteht sich.

Die SPD ist mit der Verkehrssituation, wie sie sie nach zwei Legislaturperioden in der großen Koalition vorfindet, überhaupt nicht zufrieden. Freilich sei die CDU dafür verantwortlich, dass „Jahre verschenkt“ worden seien. SPD-Pressesprecher Frank Zimmermann: „Beim Thema Verkehr ist das Versagen eines CDU-Senators besonders krass. Die Koalitionsvereinbarungen wurden durch den Autosenator nicht umgesetzt.“ Und setzt nach: „Er schafft es nicht mal, das Leben für die Autofahrer erträglicher zu machen.“

Die SPD hingegen will dem öffentlichen Nahverkehr Vorrang vor dem Individualverkehr einräumen, das Netz der Hauptverkehrsstraßen sei ausreichend. Sie setzt auf Ausbau und Beschleunigung der Straßenbahnstrecken, günstigere BVG-Monatskarten, mehr Busspuren und Radwege sowie weniger Schwerverkehr im Zentrum, etwa durch Ausbau von Güterbahnhöfen.

Auch die CDU will den ÖPNV ausbauen, setzt dabei jedoch auf den Aus- und Neubau des S- und U-Bahn-Netzes. Die Straßenbahn sei, so steht es in der „Wahlplattform 1999“, nicht in der Lage, „die in der Metropole zwingend notwendige Rolle“ des „Arbeitspferdes“ zu übernehmen.

Dazu will die CDU mehr Platz für den Autoverkehr schaffen. Berliner Ring und Avus sollen verbreitert, die A 113 gebaut und Ostpreußendamm sowie Landsberger Allee erweitert werden. Da man in der Stadt den Straßenraum nicht beliebig erweitern könne, soll ein Verkehrsmanagement mit Parkleitsystem und Park-&-Ride-Plätzen abhilfe schaffen. Höchste Priorität habe jedoch der Schluss des inneren und mittleren Stadtrings – die Stadtautobahn solle dreispurig bis zur Frankfurter Allee weitergeführt werden. Und nicht zu unterschätzen: „Das Brandenburger Tor ist für den Fahrzeugverkehr dauerhaft freizugeben (Ausnahme Lkws).“

Die Bündnisgrünen reiben der großen Koalition unter die Nase, ihre Politik habe durch Fahrpreiserhöhungen und die Verweigerung von Ampelvorrangschaltungen für die Tram der BVG 20 Prozent der Kunden gekostet und ihr Defizit so vergrößert. Als Ausweg sehen die Grünen flächendeckende Preissenkungen (dadurch stiegen auch die Einnahmen der BVG), Ampelvorrangschaltungen und eine Erweiterung der Busspuren von 100 auf 350 Kilometer. Statt U-Bahn-Tunneln sollen Straßenbahnlinien gebaut werden, weil das billiger sei und trotzdem viermal so viele Arbeitsplätze schaffe.

Unfälle, Lärm und Abgase wollen die Grünen verringern, indem mehr Wohnstraßen zu Tempo-30-Zonen werden. Auf Hauptverkehrsstraßen hingegen soll weiter Tempo 50 gelten. Lastverkehr soll durch Verlegung auf die Bahn und von der Kommune unterstützte Transportlogistik vermindert werden.

Dass in Berlin wesentlich weniger Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden (6 Prozent) als beispielsweise in Hamburg oder München (12 bis 18 Prozent), soll sich durch einen Haushaltstitel für Velos sowie einen Fahrradbeauftragten ändern. Mehr Radwege, kostenlose Mitnahme in der Bahn und mehr Stellplätze sollen ein Übriges tun.

Für die PDS ist das Thema Verkehr (wie eigentlich jedes Thema) vor allem eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Auf keinen Fall dürfe die BVG als kommunales Unternehmen gefährdet werden, denn das stelle „das ÖPNV-System insgesamt in Frage.“ Daneben setzt sich die PDS von SPD und Grünen vor allem dadurch ab, dass sie Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen will und für die BVG-Fahrpreissenkung Zahlen nennt (der Einfachheit halber): Dreißig Prozent sollen die Preise purzeln. Außerdem heißt es im Wahlprogramm: „Die PDS will prüfen, ob und wie die entgeltfreie Nutzung des ÖPNV sowie die Verbesserung seiner Infrastruktur durch die Erhebung einer Nahverkehrsabgabe erreicht werden können.“

Die FDP, für jede Stimme dankbar, sieht sich entsprechend als Partei aller Verkehrsteilnehmer. Das Programm verspricht, „keine Verkehrssysteme oder -teilnehmer“ auszugrenzen und beim „Ausbau der Verkehrsflächen im öffentlichen Straßenland grundsätzlich den jeweils schwächeren Verkehrsteilnehmer“ zu bevorzugen.

Konkret heißt das für Jörg Henschel, den Pressesprecher der Kleinpartei: „Wir sind gegen eine Ausweitung der Busspuren, gegen Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen, für den Ausbau der Hauptverkehrsstraßen ins Umland.“ Darüber hinaus soll der Autobahnring geschlossen werden. Der Straßenbau müsse dabei nicht unbedingt mit Steuergeldern finanziert werden, sondern möglicherweise privat und aus Nutzungsentgelten.

Martin Kaluza