Kategorienfehler

■  Die Filmarbeiterinnen feierten ihren 20. Geburtstag mit einer grundsätzlichen Diskussion: „die Frau – die Macht – der Film“

Nur noch 9,9 Prozent der Stimmen für die SPD in Sachsen, so lauteten die ersten Wahlnachrichten, als man von der „Internationalen Tagung des Verbands der Filmarbeiterinnen“ aus der Akademie der Künste zu Hause eingetroffen war. Ganz so katastrophal, mit einem einstelligen Ergebnis vor dem Komma, ist es dann zwar nicht gekommen. Aber weil ein Schock nicht ausreicht, erfuhr man außerdem, dass die Internationale Automobilausstellung IAA in Frankfurt am Main den größten Besucheransturm seit Jahren verzeichnet. Ohne die zivilisatorische Bedeutung des Verbrennungsmotors schmälern zu wollen: Noch vor zwanzig Jahren hätte man ohne weiteres gewettet, dass sich die IAA am Ende des Jahrhunderts überlebt haben würde. Und jetzt ist sie erfolgreicher denn je.

Auch der Verband der Filmarbeiterinnen e. V., der sein zwanzigjähriges Bestehen jetzt mit mit einer zweitägigen Podiumsdiskussion „die Frau – die Macht – der Film“ feierte, hat sich 1999 nicht überlebt: So schnell funktionierte das weibliche Empowerment im Filmbereich nicht. Dass die Arbeit des Interessenverbandes erfolgreicher wäre denn je, lässt sich allerdings auch nicht sagen. Auch wenn inzwischen bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu 42 Prozent Redakteurinnen angestellt sind – berichtete Anne Breuer, Juristin beim ZDF –, zu 44 Prozent Aufnahmeleiterinnen oder zu 30 Prozent Bildregisseurinnen. Aber von den 646 Gremienmitgliedern, die die Gelder verteilen und die Strukturen bestimmen, sind nur 164 Frauen.

Das Eindringen der Frauen in den Arbeitsmarkt der Medien hat also bislang nur dazu geführt, dass heute wesentlich mehr Frauen von genau den gleichen Problemen betroffen sind, mit denen sich 1979 nur einige wenige konfrontiert sahen. Zum Beispiel mit der Frage, wie vereinbart frau Beruf und Kinder. Podiumsteilnehmerin Angela Schanelec, Mutter zweier Kinder und zuletzt ob ihres Films „Plätze in Städten“ zu Recht als Regisseurin viel gerühmt, zum Beispiel deutete an, dass sie selbst einem nicht allein erziehenden Mann doch eher einen Platz im Team geben würde als einer Frau mit Kind. Ihre Begründung freilich griff zu kurz und auch zu weit. Die Möglichkeit, die Frau müsste bei der Arbeit nicht ausfallen, obwohl zum Beispiel ihr Kind krank wird, zog sie gar nicht in Betracht: Die Frau kann ja für diesen Fall vorgesorgt haben. Das ist ein typischer Kategorienfehler – die Frage der Organisation war bei Schanelec gleich mit der einer Anthropologie verknüpft: Nicht die Solidarität der Eltern, also der Geschlechter, oder die Solidarität der weiteren Familie und der Freunde, gar die Solidarität der Gesellschaft, die den Staat verpflichtet, für Kinderbetreuung zu sorgen, ist in diesem Fall gefragt. Denn, so behauptete Schanelec tatsächlich allen Ernstes, es liege in der Natur der Sache, dass nur die Mutter ihr krankes Kind betreuen könne.

Muss man solchen Unsinn noch diskutieren? Heute? Offensichtlich ja. Als „Entpolitisierung der jungen Frauen“ oder „Einzelkämpfertum“ verbucht, scheint eine solche Haltung inzwischen selbst eine breite Bewegung zu sein. Was auch die wenigen Aufnahmegesuche junger Filmfrauen bei den Filmarbeiterinnen belegen. Interessant, von einer der Mitbegründerinnen des Verbands, der Kamerafrau Hille Sagel, zu erfahren, dass auch sie zunächst nur an individuelle Lösungen geglaubt und freiwillig auf Fragen nach den möglichen Alternativen verzichtet hatte. Überhaupt Kamera machen zu dürfen hieß ihr Kampf, hinter dem alle weiteren Fragen verschwanden. Bis ihr aufging, dass sie so schon gar nicht weiterkam. In diesem Eingeständnis lag wohl auch die Berechtigung des Symposiums. Schließlich bauten solche Bekenntnisse tatsächlich Verständigungsbrücken zwischen den älteren Filmarbeiterinnen und den jungen Individualistinnen, den deutschen, portugiesischen oder italienischen Teilnehmerinnen.

Es ist ja merkwürdig, dass –gleichgültig ob Verband, Partei oder Zeitung– alles, was sich von der Frage nach den Alternativen her definiert, heute seinen früheren Sex-Appeal des Zukunftsträchtigen und seinen Glamour des Widerständigen verloren zu haben scheint. Das gilt auch im „New Labour Land“ von Tony Blair, wie Laura Hudson vom Filmverleih Cinenova berichtete. Die Grünen hier zu Lande lagen entsprechend bei Heimkunft wieder mal bei gerade 2,5 Prozent der Wählerstimmen. Während die Autoindustrie sagt, „nichts ist unmöglich“, riefen die Filmarbeiterinnen den Frauen wenigstens ins Gedächtnis, dass nicht alles unmöglich ist. Dies allein ließ alte Fragen wieder neue Attraktivität gewinnen.

Warum zum Beispiel nehmen Frauen Machtpositionen gewissermaßen billigend in Kauf? Eigentlich nur, um weiterhin ihrer qualifizierten Arbeit nachgehen zu können? Das fragte Christel Drawer, Leiterin des Max-Ophüls-Filmfestivals in Saarbrücken, auf dem Panel „Frauen in Machtpositionen“. Warum lässt sich der Eindruck nicht abschalten, Frauen, die ideologiekritisch argumentierten, kämen inhaltlich mit ihrer „eigentlichen Aufgabe“ nicht klar? Das waren die klügeren Einwendungen, zu denen auch die Aufforderung der SFB-Chefredakteurin Petra Lidschreiber zählte, den Ehrfurchtsbonus, den Frauen Männern immer einräumen, endlich abzuschaffen. Beim Panel „Sex im deutschen Film“ freilich war dann Stanley Kubrick mit „Eyes Wide Shut“, dessen ausschließlich männlicher Blick auf Sexualität zu durchweg stereotypen Bildern führt, sofort wieder das große Vorbild, der Heilige der erotischen Filmerzählung. Jedenfalls für die Regisseurin Monika Treut.

Zu den weniger klugen Einwendungen gehörte sicher der Wunsch der großen alten Journalistendame des WDR, Inge von Bönninghausen, sich völlig aus dem männlichen Bezugssystem auszuklinken. Die jungen Zuhörerinnen wollten realistischer- wie optimistischerweise eher gemeinsam mit den Männern zu Potte kommen. Den Mann nur als Buhmann wahrzunehmen ist ihr Ding glücklicherweise jedenfalls nicht. Überhaupt war der Widerspruch aus den Reihen des Publikums interessant. Das Panel „Frauen in der Filmbranche in Europa“ wurde etwa als reines Nischen-Panel kritisiert. Wo hier die Frauen in Machtpositionen seien, wurde gefragt: die großen Verleiherinnen oder andere Global Playerinnen? Gibt es sie nicht, oder wurden sie nur nicht eingeladen?

Sie wurden nicht eingeladen. So war die Reaktion zu verstehen. Denn eigentlich sieht sich der Verband der Filmarbeiterinnen eben genau als solche Nische, als Schutzraum für Frauen der mittleren Ebene. Brigitte Werneburg

Die Filmreihe „Festival der Filmarbeiterinnen“ läuft noch bis zum Samstag jeweils um 17, 19 und 21 Uhr im Arsenal, Welserstraße 25