Geschichten, die ich eben schrieb. Folge I: Student und Lude    ■ Von Joachim Frisch

Vor nicht allzu langer Zeit flanierte ein Student der Germanistik durch das Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli, den Blick schwenkend wie eine Führungskamera im Centre Court von Wimbledon. Nichts von der schillernden Atmosphäre zwischen Spielhallen, Peepshows, Theatern, Nutten, Kampfhunden, SM-Clubs und Szenekneipen sollte ihm und seiner Nikon entgehen. Auf dem Bürgersteig der Reeperbahn sah der Student drei Kiezgrößen an einem Gartentisch im Straßencafé, und sie waren wie geschaffen für seine kleine Entdeckungsreise: Rolexe, Gold pfundweise an Armen, Hälsen, Bullmastifs und Pitbulls zu den Füßen, in Sichtweite die S-Klasse-Benz-Limousinen mit Spurverbreiterung im uneingeschränkten Halteverbot, kurz: das Kiezmotiv schlechthin. Der Student öffnete die Fototasche, zog die Nikon heraus und nahm die Luden ins Visier, als der vor ihm lümmelnde Lude plötzlich wie vom Pitbull gebissen aufsprang und dem verblüfften Studenten die Nikon aus der Hand riss. Mit strohblonder Matte und braungebrannt wie ein Broiler nach zwei Tagen am Grill sah der Lude aus wie aus einer TV-Doku von RTL 2 entsprungen. Dem Studi schwante, dass TV-Dokus nicht immer lügen. „Gib den Film raus, du Schwuchtel“, blökte der böse Ludenmann und fummelt an der Nikon herum.

Knallrot wurde da der Studentenkopf, dann platzte dem Studenten der Kragen, er plusterte sich auf wie ein Zwerggockel vor einem Wolfsrudel und brüllte: „Ihr verfluchtes, verficktes Scheißludenpack, was bildet ihr euch eigentlich ein, ihr widerwärtigen, kackbraun gerösteten Kotzbrocken? Haltet ihr euch für Bruce Willis oder Charles Bronson, ihr jämmerlichen, impotenten Wichtigtuer, dass ihr euch anmaßt, anderen Menschen Verbote zu erteilen? Ich fotografiere, wann ich will und wo ich will und wen ich will, auch wenn sich den Herren Zuhältern der Nackenspoiler aufrollt. Gebt doch zu, dass ihr euch in Wirklichkeit gar nicht ärgert, sondern stolz darauf seid wie Kirmespfauen, dass sich überhaupt jemand für euch interessiert und euch fotografieren will, ihr Wichte, weil ihr nämlich ohne die Schwanzverlängerungen aus Gold, aus Blech, aus Fleisch und aus Blut nur mickrige, stummelschwänzige Wurstzipfel seid; weil ihr vor lauter Kraftmeierei keine Freunde mehr habt, auch wenn publicitygeile Medienfuzzis und selbstverliebte Semiliteraten es hip finden, sich mit euch abzugeben; weil ihr abends, wenn ihr allein seid, vor Einsamkeit in die Satinkissen schluchzt. Und nun setz dich wieder auf deinen Knackarsch, Meister Wichtig, sonst rutscht dir noch das Hirn in die Hose, und dort findest du es garantiert nicht wieder. Und mach's Maul zu, sonst aschen deine Kumpels noch hinter deine Unterkieferbrücke, so stinkst du aus dem Hals.“

Der angesprochene Lude taumelte, die offenen Worte des Studenten hatten ihm die Sprache verschlagen. Fragend blickte er in die Runde, dann nahm er sein Schlüsselbund, ging zu seinem Benz und fuhr, ohne sich zu verabschieden, davon, verkaufte Rolex, Goldketten, Benz und Luxuswohnung, schenkte das Geld seinen ehemaligen Huren und begann ein neues Leben als Küchengehilfe in der Unimensa. Na also, meine Herren, so geht's doch auch!