Die Welt wird einfach nicht matt

In der Internetpartie zwischen Garri Kasparow und drei Millionen Schachspielern läuft alles auf ein Remis hinaus. Die WM-Pläne des Russen liegen auf Eis    ■ Von Hartmut Metz

Berlin (taz) – Die ganze Welt kann selbst ein Garri Kasparow nicht allein in Schach halten. Die Partie, die der Weltranglistenerste seit dem 26. Juni im Internet bestreitet, wird wohl ohne Sieger enden. Trotzdem schwärmt der 36-Jährige von den Möglichkeiten, die das weltweite Netz seinem Sport bietet: „Fußball, Basketball und Tennis kann man im Computer nur simulieren – Schach spielt jedoch jeder wie gewohnt.“

Das Match „Kasparow gegen den Rest der Welt“ (www.zone. com/kasparov) verzeichnete in der Microsoft-„Gaming Zone“ weit über 15 Millionen Zugriffe durch mehr als drei Millionen Teilnehmer aus 79 Nationen. Im 24-Stunden-Rhythmus tauscht der „Rest der Welt“ einen per Mehrheitsvotum festgelegten Zug mit dem Champion aus. Momentan befindet sich die Partie in der spannenden Schlussphase. Ein Remis zeichnet sich ab. Beide Seiten verfügen über weit vorgerückte Bauern, die sich in Damen umwandeln werden.

Um allzu stümperhafte Zugvorschläge auszumerzen, helfen vier Talente dem „Rest der Welt“. Die Riege der Berater am heimischen Computer führt Etienne Bacrot an. Der Franzose wurde 1997 im Alter von 14 Jahren und zwei Monaten der jüngste Großmeister aller Zeiten. Aus den USA stammen Florin Feleca (19) und Irina Krush (15). Überdies nominierte Kasparow die Erfurterin Elisabeth Pähtz. Von der 14-jährigen Nationalspielerin aus Thüringen war er nach einer Partie auf der Cebit in Hannover besonders angetan. Der Russe prophezeite, bis 2001 werde die frisch gebackene Deutsche Damen-Meisterin in die Top 10 der Damen-Weltrangliste vorstoßen.

Den Moderator der Internetpartie erstaunt der bisherige Verlauf. „Ich bin sehr überrascht, wie gut sich die Welt hält“, bekennt der Engländer Daniel King. Ein weiterer Großmeister, Thomas Pähtz, Elisabeths Vater, ergänzt: „Das Brett brennt. Jedes Schachherz muss angesichts dieser spannenden Begegnung höher hüpfen.“ Zu verdanken sei dies dem geistreichen zehnten Zug, als die schwarze Dame nach e 6 schwenkte. „Eine glänzende Fortsetzung“, lobte Kasparow, dem sonst selten solche Eröffnungsnuancen entgehen. In London lobhudelte der 36-Jährige gar, die Partie sei eine der besten seiner gesamten Karriere und das Internet könne die Schachqualität deutlich steigern.

Freilich nützt ihm selbst das ungeheure Echo, das ironischerweise den bisherigen Internetrekord – Kasparows Niederlage 1997 gegen das IBM-Programm „Deep Blue“ – brach, wenig. Microsoft galt als letzte Hoffnung des Russen, drei Millionen Dollar für ein WM-Match gegen den Inder Viswanathan Anand aufzutreiben. Doch dem Konzern genügt der Publicityerfolg von „Kasparow gegen die Welt“ und er möchte sich jetzt erst mal in anderen Bereichen als dem Schach finanziell engagieren. Ein zweiter interessierter Computerkonzern aus dem Silicon Valley wiederum hatte wegen Kasparows Zusammenarbeit mit dem Branchenriesen Microsoft vergrämt abgewunken. Damit ist die WM gegen Anand geplatzt, auch wenn der Russe das offiziell noch nicht zugegeben hat.

Das gewohnte Tohuwabohu im Schach bleibt somit bestehen: Nach der von Alexander Chalifman gewonnenen WM des Weltverbandes (Fide) in Las Vegas platzten jetzt Schecks, weshalb die Besten um ihre sechsstelligen Preisgelder bangen müssen. Dortmund schreckte das jedoch nicht ab, mit der Fide über die Ausrichtung der WM 2001 zu verhandeln. Ex-Weltmeister Anatoli Karpow (Russland) verklagte die Fide gar auf 2,4 Millionen Mark Schadenersatz, und die ebenfalls kampflos enttronte Zsuzsa Polgar aus Ungarn droht Gleiches an.

Der Weltranglistenzweite Anand, der in einem offenen Brief das abgesagte Duell mit Kasparow einräumte und seine Vorbereitung abbrach, könnte folgen. Er hatte wegen der Zusage des Russen, im Oktober den hoch dotierten Zweikampf zu spielen, auf die Fide-WM verzichtet. Nun steht Kasparow wie in seinem Match gegen den Rest der Welt ganz alleine da – nur dass er außerhalb der virtuellen Welt nicht einmal einen halben Punkt geschenkt bekommt.