■ Die Grünen sollten sich auf ihre Wurzeln besinnen
: Neokeynesianismus jetzt!

Die SPD hat es schon gelernt. Sowohl Schröder als auch Clement fangen endlich an zu beteuern, dass Sparen kein Selbstzweck sei. Dass freilich die Bekanntgabe dessen, worin der Zweck besteht, bis Ende Oktober warten soll, stimmt bedenklich. Die Grünen können als kleinere Partei ihre Lernprozesse geschmeidiger und schneller präsentieren. Nachdem die gruppendynamischen Verwerfungen geklärt sind, gilt es nun, das eigene politische Selbstverständnis, das allemal links der SPD lag, wiederzufinden.

Dabei liegen die Themen auf der Hand: das Entfalten einer Struktur sozialer Gerechtigkeit, die ohne Kollektivismus auskommt, aber sozialstaatliche Institutionen nicht verteufelt; eine Außenpolitik, die auf unbedingten Vorrang der Menschenrechte setzt, sowie eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, die den Interessen der Bevölkerung entspricht. Einer Bevölkerung, die in ihrer überwältigenden Mehrheit, einschließlich der Jugend, nicht aus innovationsdürstenden Existenzgründern auf der Suche nach steuerfreiem Risikokapital besteht, sondern aus Menschen, die sich eine Zukunft als hochqualifizierte, aber abhängig Beschäftigte vorstellen.

Damit ist auch für die Grünen ein Ende des Schumpeter-Liberalismus angesagt. So bitter es die Fraktion ankommen mag: Die mehr oder minder doktrinären neoliberalen Wirtschafts- und FinanzpolitikerInnen Metzger, Wolf und Scheel müssen wieder dorthin zurück, wo sie herkamen: ins zweite und dritte Glied. Die Partei hingegen wird über jenes wirtschaftspolitische Programm nachzudenken haben, das in Frankreich in der Praxis und in den wirtschaftstheoretischen Seminaren immer mehr an Zuspruch gewinnt: einen Deregulationen durchaus in Kauf nehmenden Neokeynesianismus. Von den alternativen Wirtschaftsweisen um Rudolf Hickel in Deutschland bis zu Paul Krugman in den USA ist man sich einig, dass die Regierungen, ob das der Wirtschaft nun gefällt oder nicht, die Beschäftigung erhöhen sollen und können.

Die Ideologie des Sparens ist mit Münteferings Transrapid-Coup ohnehin entkernt. Wer sechs Milliarden Mark für ein derart überflüssiges Spielzeug übrig hat, der will vielleicht, der muss aber nicht sparen. Ob die Grünen wieder politikfähig werden, wird sich nicht zuletzt daran erweisen, ob sie in dieser Frage unnachgiebig bleiben. Sollte daran die Koalition zerbrechen, wird das zu keiner Katastrophe führen. Man wird es kaum glauben, gleichwohl: Die Reform der sozialen Sicherungssysteme wäre in einer Großen Koalition wahrscheinlich besser aufgehoben. Und die Grünen bedürften genau genommen der Regeneration in der Opposition. Micha Brumlik

Der Autor ist Publizist und Mitglied der Grünen in Frankfurt