Ein offenes Ohr für die Welt

■  Karl Lehmann ist mit einer großer Mehrheit erneut zum Vorsitzenden der katholischen Bischöfe gewählt worden. Aber sein Kampf mit Rom um den Beratungsschein ist verloren

Wie kaum ein anderer hat sich Karl Lehmann für den deutschen Weg bei der Schwangerenberatung ins Zeug gelegt

Berlin (taz) – Er ist einer ihrer Klügsten, der profilierte Theologe Karl Lehmann, Bischof von Mainz, alter und seit gestern neuer Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz. Das Aufatmen ist unüberhörbar: Es wird weiterhin einen gewichtigen Gegenspieler zu den zeternden Wächtern der reinen vatikanischen Lehre geben. Jemanden, der dem Kirchenvolk zumindest zugänglich erscheint. Karl Lehmann war es, der 1995 die VertreterInnen des „Kirchenvolksbegehrens“ für mehr Demokratie in der Kirche empfing. Der den Wunsch der deutschen Priester nach einer Lockerung des Zölibats nach Rom trug und öffentlich ein Überdenken der traditionellen Geschlechterrollen in der Kirche forderte.

Nicht, dass er ein ausgewiesener Reformer wäre. Dazu ist der ehemalige Professor für Dogmatik zu tief verwurzelt in der kirchlichen Tradition. Aber im Gegensatz zu den mauernden Hardlinern in Köln und Fulda hat Lehmann stets ein offenes Auge und Ohr für die Welt bewahrt. Wie kaum ein anderer Kirchenfürst mit herausgehobener Position hat er sich für den einzigartigen Weg der deutschen Katholiken bei der Schwangerenberatung ins Zeug gelegt. Seine Begründung für die Gratwanderung mit dem Beratungsschein, der als Erlaubnis für eine straffreie Abtreibung gilt, hat Seltenheitswert: „Unser Weg hat uns in große Nähe zu den betroffenen Frauen gebracht.“

Das Buch einer Journalistin über den Memminger Abtreibungsskandal habe ihm die Augen geöffnet, erzählt er in einem Interview: „Die soziale Lage der dort beschriebenen Frauen und unter was für einem unglaublichen Druck sie standen. Da habe ich begriffen: Diese Menschen kenne ich so gar nicht – leider.“ Welch ein Eingeständnis, wenn man die katholisch-systemimmanente Argumentation anderer Theologen und Bischöfe kennt, die in der Kirche eher einen Ort zu sehen scheinen, der sie vor den Niederungen der Welt schützt.

Den mittlerweile vierjährigen Kampf mit Rom um den Beratungsschein, der mit dem letzten Diktat des Papstes ihr vorläufiges Ende gefunden hat, focht Lehmann mit allen theologischen Mitteln, die ihm zu Gebote standen. In Rom schien er in dem „Außenminister“ des Vatikans, Angelo Sodano, einen zuverlässigen Verbündeten zu haben. Sodano hatte schon qua Funktion ein Interesse daran, das enge Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland nicht aufs Spiel zu setzen: Der deutsche Staat finanziert theologische Fakultäten, kirchliche Sozialarbeit und Schulen. Nicht zuletzt treibt der Staat Kirchensteuern ein und finanziert über den Umweg der Bistümer auch den Vatikan selbst mit.

Aber die Sodano-Connection funktioniert augenscheinlich weniger gut als die konservativen Drähte nach Rom. Der von Bischof Lehmann ausgeklügelte „Schein mit Zusatz“ sollte angeblich die Akzeptanz Roms haben – jetzt steht Sodanos Name unter dem Brief, der den endgültigen Ausstieg anweist. Sollte sich da jemand die Möglichkeit freihalten wollen, demnächst im Papamobil zu reisen?

Der kluge Lehmann hat sich verrechnet. Doch die Nonchalance, mit der er das nun einräumt und die Verantwortung auf die Gewissensentscheidung „jedes einzelnen Bischofs“ überträgt, zeigt die grundlegende Gemütsruhe eines Menschen, der wirklich alles getan hat, was in seiner Macht steht. Heide Oestreich