Nötigung oder „Gesinnungsjustiz“?

■ Bremer Atomkraftgegner in Ahaus wegen Castor-Blockade zu 1.200 Mark Geldstrafe verurteilt Zweite Instanz soll klären, „ob man einen verstrahlten Transport überhaupt nötigen kann“

Die Blockade eines Castor-Transportes am „Tag X“ soll den Bremer Physikstudenten Bernhard Stoevesandt teuer zu stehen kommen. Das Amtsgericht Ahaus verurteilte den 29-jährigen Atomkraftgegner, der seine Hände in einem Rohr unter den Gleisen zusammengekettet hatte, über die der Castor später rollte, jetzt zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 20 Mark. Mit der Strafe von 1.200 Mark blieb das Gericht deutlich unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von 2.000 Mark.

Zur Urteilsbegründung erklärte der Richter nach über dreistündiger, von den Zwischenrufen zahlreicher Zuschauer unterbrochenen Verhandlung, der Angeklagte sei „über das Ziel hinausgeschossen“ – obgleich er mit der Blockade im März 1998 nachvollziehbare ideelle Motive verfolgt habe. Stoevesandt hatte zum Auftakt der Verhandlung eine fast einstündige persönliche Erklärung abgegeben, in der er die Risiken der Atomkraft darlegte. Darin hatte er zum Vorwurf der Nötigung argumentiert, nicht er gehöre auf die Anklagebank, „sondern all jene, die eine Atompolitik vollziehen. Sie beweisen tagtäglich ihre kriminellen Energien, indem sie die Gefährdung und Verstrahlung von Mensch und Umwelt immer in Kauf nehmen.“ Der Verteidiger des wegen Nötigung und Sachbeschädigung angeklagten Studenten, Anwalt Hans Meyer-Mews, hatte Freispruch gefordert.

„Ich habe die Gleise ja nicht selbst beschädigt“, sagt der Angeklagte auch noch nach dem Urteilsspruch; die Polizisten hätten mit dem Aufschweißen des Gleises aus seiner Sicht zu unverhältnismäßigen Mitteln gegriffen. Er selbst habe mit seiner Blockade keine Sachbeschädigung begangen und sei durch das Vorgehen der Polizei auch überrascht worden. „Man hätte das Rohr mit einer einfachen Stahlsäge aufsägen können, ohne das Gleis zu beschädigen.“ Dies bezeugten auch zwei Atomkraftgegner, die bei vergleichbaren Blockaden in Lüchow-Dannenberg von der Polizei mit einer kleinen Säge bzw. einer Flex „losgeeist“ worden waren. Auch den Vorwurf der Nötigung wies der Verurteilte zurück. Der Transport der abgebrannten Brennstäbe sei „erwartungsgemäß verstrahlt“ gewesen, so der Physikstudent. Er kündigte an, gegen das Urteil in die nächste Instanz gehen zu wollen.

Rechtsanwalt Hans Meyer-Mews sprach im Zusammenhang mit der Verurteilung von „Gesinnungsjustiz“. Das Gericht habe bei seinem Mandanten Verwerflichkeit angenommen, „obwohl er ja geradezu staatskonform gehandelt hat.“ Schließlich habe Stoevesandt „die Straftat, dass der Castor-Transport verstrahlt war“, verhindern wollen. „Wir werden in der nächsten Instanz prüfen lassen, ob die Blockade eines verstrahlten Transportes überhaupt als Nötigung verfolgt werden kann“, kündigte Meyer-Mews an. Der Richter hatte dagegen befunden, Genehmigungen wie die zum Castor-Transport seien wirksam – auch wenn sie möglicherweise rechtswidrig seien. Stoevesandt hätte dagegen nicht per „Faustrecht“ angehen dürfen.

In zweiter Instanz liegt der Atomkraftgegner Stoevesandt mittlerweile auch in einem zivilen Rechtsstreit vor Gericht. Es geht um das Verfahren, das die Deutsche Bahn AG gegen den Gleisblockierer angestrengt hatte. Vor Gericht war Stoevesandt zu einer Schadenersatzzahlung von über 6.000 Mark für die Reparatur eines aufgeschweißten Gleises verurteilt worden. ede