: Wir liegen nicht in der Hängematte
Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten verteidigen vor dem Verfassungsgericht den Länderfinanzausgleich gegen die reichen Südstaaten ■ Aus Karlsruhe Christian Rath
Die einen sprachen von Geld, die anderen von Moral. Gestern begann vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die mündliche Verhandlung über den von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen angegriffenen Länderfinanzausgleich. Dabei kümmerten sich immerhin acht MinisterpräsidentInnen und Regierende Bürgermeister persönlich um die finanzielle Zukunft ihres Landes. Gut ein weiteres Dutzend MinisterInnen war anwesend. Kein Wunder, dass bei der ersten Runde der Anhörung die Politik ganz im Vordergrund stand.
Immer wieder wurde den Klägern vorgeworfen, unzuverlässige Partner zu sein. „Der ursprüngliche Schöpfer der Regelung, die die bayerische Staatsregierung hier angreift, war doch der bayerische Finanzminister Waldenfels“, betonte etwa der Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) in einem emotional gehaltenen Vortrag. Er erinnerte an die Vorgeschichte der aktuellen Regelung, die erst 1995 in Kraft getreten war.
Im Solidarpakt des Jahres 1993 hatten sich Bund und Länder einstimmig auf eine Neuregelung des Finanzausgleichs geeinigt. Erstmals wurden auch die neuen Bundesländer in den Transfer einbezogen. Leidtragender des Solidarpakts war vor allem der Bund, der den Ländern einen zusätzlichen Anteil an der Umsatzsteuer zugestand. Bayern und Baden-Württemberg hatten die Regelung dagegen ausdrücklich begrüßt. Dass die Südländer bereits kurze Zeit später begannen, die Neuregelung für verfassungswidrig zu erklären, hat das Vertrauen im Bundesstaat nachhaltig gestört. „Die Verhältnisse haben sich später durchaus so entwickelt, wie es damals prognostiziert war“, erinnerte sich gestern Sachsens Finanzminister Georg Milbradt (CDU), der auch schon 1993 dabei war, „von einer neuen Geschäftsgrundlage kann also keine Rede sein.“
Doch Erwin Teufel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) gaben sich wenig Mühe, ihren Wortbruch zu erläutern. Sie blieben lieber im Allgemeinen und beklagten den fehlenden Wettbewerbsföderalismus. „Diese Übernivellierung führt dazu, dass jeder Anreiz für eine zukunftsweisende Haushaltspolitik fehlt“, klagte der Schwabe Erwin Teufel. „Ein Systemwechsel würde enorme Kräfte in allen Ländern freisetzen“, lockte Edmund Stoiber.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ging dagegen nur auf Einzelpunkte ein. Die hessische Klage ist auch lange nicht so radikal, wie diejenige aus Stuttgart oder München. Man hat den Eindruck, dass sich Kochs Vorgänger, der jetzige Finanzminister Hans Eichel (SPD), nur an der Klage beteiligt hat, um im Hessen-Wahlkampf nicht angegriffen zu werden.
Der implizite Vorwurf, die Nehmerländer würden auf Kosten der Kläger ein gemütliches Leben führen, sorgte natürlich für Widerspruch. „Wir liegen nicht in der sozialen Hängematte“, betonte etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Das Küstenland hat sich immerhin in den letzten Jahren vom Nehmer- zum zeitweisen Geberland gemausert. Land um Land schilderte nun seine Sparanstrengungen und Investitionsbemühungen. „Wenn der Finanzausgleich gekürzt wird, können wir die Haushaltssanierung gar nicht mehr schaffen“, warnte Christiane Krajewski (SPD), die noch amtierende Finanzministerin des Saarlandes. Andere MinisterInnen äußerten sich ähnlich.
Besonders hart würde ein reduzierter Ausgleich die neuen Länder treffen. Zwar betonten alle drei Kläger nachdrücklich, dass sie die milliardenschweren Zahlungen des Bundes für Ostdeutschland gar nicht angreifen. Allerdings geht auch der eigentliche Finanzausgleich zwischen den Ländern zu 85 Prozent in den Osten, wie Barbara Hendricks (SPD), die Staatssekretärin von Finanzminister Hans Eichel, gestern vorrechnete.
Verfassungsrichter Paul Kirchhof hatte zu Beginn der Verhandlung für Unruhe gesorgt, da er als Problem des Verfahrens auch die „Widersprüchlichkeit“ des „Gesamtsystems“ benannte. Dies könnte so zu interpretieren sein, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht mit Einzelkorrekturen aufhalten wird, sondern dem Gesetzgeber gleich ein neues System vorgeben werde. Kirchhof hat als Berichterstatter besonders großen Einfluss auf das Ergebnis der Verhandlung. Gerichtspräsidentin Jutta Limbach versuchte allerdings gegenzuhalten: „Wir entscheiden hier nicht über die Reformbedürftigkeit, sondern über die Verfassungswidrigkeit des Finanzausgleichs.“
Verfassungsrechtlich steht neben vielen Einzelpunkten die Frage im Mittelpunkt, wie ein „angemessener“ Finanzausgleich auszusehen hat. Viel konkreter äußert sich das Grundgesetz zum Maß der Umverteilung nicht. Außerdem ist zu klären, ob Bundeszahlungen die Finanzkraft-Reihenfolge der Länder verändern dürfen. Die Anhörung in Karlsruhe geht heute zu Ende.
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