Tatort Hamburg

Vier Jahrzehnte Krimi: Frank Göhre nimmt Friedhelm Werremeier ins „Kreuzverhör“  ■ Von René Martens

Als Romanvorlagen- und Drehbuchautor von St. Pauli Nacht ist Frank Göhre nicht ganz unschuldig daran, dass der Kiez als Kulisse für bewegte Bilder gerade besonders hoch im Kurs steht. Doch auch der 56-Jährige findet es „furchtbar, was da noch auf uns zukommt“ – vor allem die in den nächsten Tagen drohende Sat.1-Offensive mit der vermeintlichen Doku-Soap Ein Hoch auf St. Pauli, Wiederholungen von Der König von St. Pauli sowie der 26-teiligen Serie Rote Meile.

Da passt es gut, dass der in Ludwigsburg lehrende Dozent für Drehbuch derzeit nicht immer nur über den Kiez reden muss. Viel mehr am Herzen liegt ihm das Projekt Kreuzverhöre (Gerstenberg Verlag, 78 Mark). So lautet der Titel eines opulenten, optisch an Gourmet-Kochbücher und Architektur-Bände erinnernden Buches, das in Zusammenarbeit mit dem Bremer Kollegen Jürgen Alberts und dem Fotografen Rainer Griese entstanden ist. Anhand von zehn Autoren-Porträts zeichnen sie hier die vier Jahrzehnte lange Geschichte des deutschsprachigen Krimis in Literatur und Fernsehen nach. Dieses Buch stellt Göhre heute im Speicherstadtmuseum vor.

„Die Grundidee für Kreuzverhöre existierte schon vor etlichen Jahren“, sagt er. „Die Verlage haben aber skeptisch reagiert. Gerstenberg schließlich fand die Idee interessant, aber nur dann, wenn nicht nur die Geschichte des Genres erzählt wird, sondern man auch einen Einblick darin bekommt, wo und wie die Autoren leben und arbeiten. So sind es am Ende Home Stories im guten Sinne geworden.“

Alberts und Göhre haben sieben Männer und drei Frauen interviewt, größtenteils Weggefährten und, was durchaus legitim ist, auch Freunde. Auffällig: Jüngere Krimi-Autoren kommen nicht vor, nur zwei der Porträtierten sind unter 60. „Was heißt schon jung? Ingrid Noll ist 65, aber sie ist eine junge Autorin, denn ihren ersten Roman hat sie mit 54 geschrieben“, sagt Göhre. „Wir haben die Schreiber ausgewählt, die die jeweiligen Jahrzehnte geprägt haben. In den 60er oder 70er Jahren war das Feld noch übersichtlich. Aber in den 90er Jahren gibt es noch viele Kollegen, die es verdient hätten, für dieses Buch ausgewählt zu werden.“

Kreuzverhöre gibt Aufschluss über das Selbstverständnis des Krimi-Schaffenden und über die Bedingungen, unter denen sie produzieren. Und natürlich haben Alberts und Göhre zahlreiche Anekdoten zusammengetragen, etwa die, dass eine Zeit lang der damalige Kanzler Helmut Schmidt verdächtigt wurde, er verberge sich hinter dem Pseudonym -ky. Immerhin, der Soziologie-Professor Horst Bosetzky, der unter diesem Kürzel Krimis schreibt, ist ebenfalls SPD-Mitglied.

Die in Kreuzverhöre rekonstruierte Geschichte beginnt 1962, als der Wedeler Autor Hans-Jörg Martin, vor sechs Monaten im Alter von 78 Jahren gestorben, im Stern seinen Fortsetzungskrimi Gefährliche Neugierde veröffentlichte. Der zweite Pionier des Genres ist heute Göhres Gast: der in der Lüneburger Heide lebende Friedhelm Werremeier. Der 69-Jährige erschuf den Tatort-Kommissar Trimmel und schrieb auch die allererste Folge der längst klassischen TV-Serie: „Taxi nach Leipzig“, ausgestrahlt im November 1969. Werremeier schrieb danach noch 19 weitere Geschichten rund um den etwas grobschlächtigen Paul Trimmel. „Die Tatort-Beiträge aus Hamburg sind, nicht zuletzt dank Werremeier und Trimmel-Darsteller Walter Richter, mit Abstand interessanter als die oft gedankenlos bis schlampig produzierten Einweg-Thriller der anderen ARD-Anstalten“, schrieb Hans C. Blumenberg dazu einst in der Zeit.

Bevor Werremeier aus einem neuen Roman liest, unterhält sich Göhre mit ihm vor allem über Trimmel. „Das wird auch ein Rückblick auf die Kriminalgeschichte Hamburgs in den 70er Jahren“, sagt der Kreuzverhör-Autor. „Schließlich spielen die Trimmel-Geschichten alle hier, und Werremeier hat darin viele seinerzeit aktuelle Missstände aufgegriffen.“ So dürfte heute abend die Erinnerung an den einen oder anderen Ärzte- oder Justiz-Skandal aufleben.

heute, 19.30 Uhr, Speicherstadtmuseum, St. Annenufer 2, 18 Mark