„Wissen ist Rohstoff Nr. 1“

■  Ein Gespräch mit dem Zehlendorfer Bildungsstadtrat Stefan Schlede über Gemeinsamkeiten und Differenzen christ- und sozialdemokratischer Bildungspolitik

Stefan Schlede ist so etwas wie die graue Eminenz christdemokratischer Bildungspolitik in Berlin. 1998 machte der Zehlendorfer Bildungsstadtrat als Initiator der „Aktion Elternwille“ deutschlandweit von sich reden. Damals kämpfte er für die verstärkte Einführung grundständiger Gymnasialklassen.

Taz: Soviel Einmütigkeit war selten: Unter dem Motto „Mehr Mäuse für die Schule“ wirbt die SPD im Wahlkampf für verstärkten Computereinsatz, die CDU formuliert die Forderung direkter: „Computer an lle Schulen“. Sieht so die Große Koalition in der Bildungspolitik aus?

Stefan Schlede: Es gibt durchaus noch Unterschiede. Beispiel Grundschulen: Die CDU fordert seit Jahren, pro Bezirk mindestens zwei grundständige Gymnasialklassen mit einer modernen Fremdsprache einzurichten. Die Einrichtung von fünf Lateinklassen im neuen Schuljahr geht an dem Problem vorbei. Und: Immerhin hat die SPD die Schulpolitik der vergangenen vier Jahre zu verantworten – mit einer Schulsenatorin, die zu guter Letzt von ihrer eigenen Partei im Regen stehen gelassen wurde.

Auch die CDU will sich nicht generell von der sechsjährigen Grundschule verabschieden?

Beileibe nicht. Die sechsjährige Grundschule hat sich bewährt. Wir wollen aber den Elternwünschen stärker Rechnung tragen.

Die SPD argumentiert, wer das sechsjährige System aufweiche, provoziere sein Ende, weil zu viele abwanderten.

Das ist eine aus ideologischen Vorzeiten stammende und völlig unbegründete Furcht. Es gibt Kinder, für die die sechsjährige Grundschule ideal ist, und andere, die in den Klassen 5 und 6 nicht mehr angemessen gefördert werden können. Das kann auch für Kinder gelten, die auf die Realschule wollen. Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell. Dafür brauchen wir ein differenziertes Schulsystem.

Mehr Differenz will auch die von der SPD eingesetzte Bildungskommission.

Eine Kommission, in der die Schulsenatorin nicht mitarbeitet, überzeugt mich nicht sehr. Die SPD hatte vier Jahre lang Zeit, das umzusetzen, was sie jetzt fordert.

Inhaltlich kommt das Papier Ihren bildungspolitischen Vorstellungen schon nahe.

Mehr als fünfzig Prozent der dort vorgeschlagenen Veränderungen könnten wir sofort gemeinsam realisieren.

Welche Differenzen bleiben?

Wertevermittlung. Religion, Ethik und Philosophie gehören verbindlich in den Fächerkanon der Schule.

Stichwort Abitur: Wie lange sollen Gymnasiasten zur Schule gehen?

Zwölf Jahre lang. Sowohl in der elften Klasse als auch im vierten Semester der Oberstufe ist derzeit viel Luft.

Wollen Sie Kopfnoten, wie sie in Brandenburg voraussichtlich wieder kommen sollen, in Berlin einführen?

Das kommt darauf an, wie aussagekräftig die Kopfnote ist. Eine Betragensnote ist sicher sehr zweifelhaft. Fleiß oder Ordnung sind hingegen Dinge, die in Noten ausgedrückt werden können. Bisher ist es außerordentlich misslich, dass die Abschlusszeugnisse keine Bilanz ziehen, die die Persönlichkeit des Schülers betrachtet. Für einen potenziellen Arbeitgeber sind unentschuldigte Fehlzeiten beispielsweise sehr entscheidend. Ob das in Noten oder verbalen Beschreibungen erfolgt, erscheint mir zweitrangig.

Sie wollen die Eigenverantwortung der Schulen stärken, eine größere Selbstständigkeit des Schulleiters, eigene pädagogische Profile. Sollen Lehrer dann nach Leistung honoriert werden?

Ja. Lehrer sind nicht nur durch ihren Einsatz, sondern schon durch ihre Fächerkombinationen unterschiedlich belastet. Dieses – zugegebenermaßen außerordentlich heiklen – Themas wird man sich annehmen müssen.

Eberhard Diepgen hat auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung erklärt, es solle wieder Klassen geben, in denen nur Kinder nichtdeutscher Herkunft unterrichtet werden. Teilen Sie diese Ansicht?

Wenn wir keine reinen Ausländerklassen bilden, werden wir die restlichen deutschen Kinder nicht in den Innenstadtbezirken halten können. Dann wird die Flucht in andere Bezirke anhalten.

Dass viele Kinder in der Schule kaum deutsch sprechen, liegt auch daran, dass weder in den Kitas noch in der Vorschule genügend investiert wurde, um es ihnen beizubringen.

Ich denke auch, dass wir zu lange zu wenig Geld in die Sprachförderung investiert haben. Gerade in dem vorschulischen Bereich kommen erhebliche Investitionen auf uns zu.

Auch die CDU hat lange den Schulsenator gestellt, ohne dass es zu nennenswerten Veränderungen gekommen wäre. Jetzt hat Bildung Hochkonjunktur, und Eberhard Diepgen möchte das Ressort zurückerobern. Wieso?

Bildung hat immer Konjunktur. Zur Zeit hat sie Hochkonjunktur, weil wir gemerkt haben, dass Deutschlands wichtigster Rohstoff Wissen ist. Die Erkenntnis, dass man im weltweiten Wettbewerb nicht mithalten kann, wenn man nicht massiv in das Bildungssystem investiert, setzt sich zunehmend durch.

Interview: Jeannette Goddar