„Zu wenig Musicals“

■  Ausweitung der Kampfzone: Modellsparer Elmar Ottenthal zu seinen ehrgeizigen Plänen am Theater des Westens und anderswo

Seit dem 1. August leitet Elmar Ottenthal das Theater des Westens. Der 48-jährige Österreicher war zuletzt sieben Jahre lang Generalintendant am Aachener Stadttheater. Dort hatte der Modellsparer gleich in der ersten Spielzeit Etatkürzungen von fünf Prozent akzeptiert, später erwirtschaftete er Überschüsse in Millionenhöhe: Das Musical „Gaudi“ zum Beispiel lief monatelang täglich vor ausverkauftem Haus.

Vor seiner Zeit in Aachen war Ottenthal Assistent von Lorin Maazel an der Wiener Staatsoper. Er inszenierte zahlreiche Opern und Musicals. Am Theater des Westens beerbt Ottenthal Helmut Baumann, der sich immer heftig gegen Etatkürzungen gewehrt hatte. Ottenthal will nun mit 20 Millionen Mark Subventionen in dieser Spielzeit auskommen. Das sind 2 Millionen weniger als 1998 – und das, obwohl das Theater jetzt zwei Bühnen bespielt.

taz: Vor drei Wochen hatte „Rent“ Premiere in der Freien Volksbühne, am Sonnabend startet „Chicago“ im Theater des Westens. Die eine Produktion war zuletzt in Düsseldorf zu sehen, die andere am Broadway. Warum haben Sie Ihren Einstand nicht mit etwas Neuem gegeben?

Elmar Ottenthal: Eine Uraufführung habe ich mir noch nicht zugetraut. Ich bin erst seit kurzem hier – in einem Haus, das sich zuletzt nicht gut verkauft hat. Da muss ich kalkulieren können. Bei Produktionen, die es schon gab, kann man auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Es ist riskant genug, mit einer zweiten Bühne anzufangen.

„Rent“ ist kein großer Erfolg. Das Haus ist oft nur halb voll ...

Wenn es beim jetzigen Stand bliebe, wäre ich nicht zufrieden. Aber die Verkaufszahlen steigen täglich. Ende Oktober entscheiden wir, ob wir die Freie Volksbühne auch nach Auslaufen des Mietvertrags Ende Januar behalten. Im Notfall müssen wir woanders eine zweite Bühne suchen.

Warum ist eine zweite Spielstätte so wichtig für Sie?

Aus künstlerischen und aus finanziellen Gründen. Wenn ich Uraufführungen machen will, muss ich die zu relativ geringen Kosten produzieren können. Ich brauche also eine Art Werkstattbühne. Außerdem bekommt man Rechte von interessanten Komponisten nur dann, wenn man eine bestimmte Laufzeit zusagen kann.

Haben Sie eigentlich Angst vor der „Glöckner“-Konkurrenz am Potsdamer Platz?

Je mehr da ist, umso besser! Musical ist ein so weites Feld, von „My Fair Lady“ bis „Linie 1“. Für eine so große Stadt gibt es hier noch zu wenige Musicals.

In den letzten Jahren sind aber alle Versuche gescheitert, in Berlin neue Musical-Theater zu etablieren.

Die laufenden Kosten eines Theaterbetriebes sind enorm hoch. Wer so etwas in Deutschland ohne Subventionen macht, nimmt ein sehr großes Risiko auf sich. In Amerika können die Betreiber sehr viel mehr von der Steuer absetzen als hier, was ja eine indirekte Art der Subventionierung ist.

Hier zu Lande werden Subventionen für Unterhaltung oft kritisiert.

Musicals sind ein Wirtschaftsfaktor. Nach den Aufführungen im Theater des Westens sind alle Kneipen voll. In der Praxis sind die Subventionen also Wirtschaftsförderung, das wird oft vergessen.

Wie wollen Sie mit dem gekürzen Etat auskommen?

Durch höhere Einnahmen – am Theater des Westens kann man nicht mehr sparen. Wir haben zwar 170 unbefristet angestellte Mitarbeiter, das finde ich sehr viel. Aber wenn ich Uraufführungen machen will, brauche ich erfahrene Fachleute. Mit der zweiten Bühne können wir die Mitarbeiter auslasten und zugleich die Einnahmen steigern.

In Ihren ersten beiden Produktionen werden kaum Streicher gebraucht. Das heißt, dass fest angestellte Musiker monatelang nicht eingesetzt werden.

Die Besetzung unseres Orchesters ist leider eher geeignet für ältere Musicals und Operetten. Das ganze Klangbild soll jetzt anders werden, heutiger. Weil ich keine Kündigungen will, müssen wir andere Möglichkeiten für unsere Musiker suchen. Es gibt zum Beispiel die Idee, Live-Tanzabende mit Walzer und Tango zu veranstalten.

Wie stellen Sie sich denn ein innovatives Klangbild vor?

Ich brauche Komponisten, die Querdenker sind. Im weitesten Sinn wollen wir mit Geräuschen experimentieren. Es soll aber auch weiterhin schöne Melodien geben! Das ist schließlich einer der Gründe, warum ich beim Musical bin: Ich mag es, wenn direkt das Gefühl angesprochen wird. Der Intellekt wird oft genug gereizt.

Wie weit sind Sie mit Ihrem ersten Uraufführungsprojekt?

„Falco Meets Amadeus“ wird wie geplant im Mai 2000 aufgeführt. Das Musical kombiniert Songs von Falco mit „Don Giovanni“. Ich habe es angeregt, weil ich bei Falcos Texten theatralische Bilder vor mir gesehen habe. Der Zadek-Dramaturg Burkhard Driest schreibt gerade an der dritten Fassung des Librettos.

Bei dem Stück werden Sie auch zum ersten Mal in Berlin Regie führen. Ihre Gage soll märchenhaft niedrig sein ...

(lacht) Ich mache das von meinem Gehalt. Ich mag das nicht, wenn man für dies und das extra bezahlt wird. Ich möchte pro Jahr aber nur einmal Regie führen, sonst hat man zu viele Inszenierungen in derselben Handschrift.

Denken Sie auch über ein Berlin-Musical nach?

Es gibt Überlegungen. Leider sind Musical-Autoren oft schnell bei Zilles Milljöh, wenn sie über Berlin sprechen. Ich will aber auf keinen Fall etwas über den Alten Fritz machen. Interview: Miriam Hoffmeyer