Ist das noch ich oder bin ich schon Bratwurst? Das Glück im Happi-Happi-Grill  ■  Von Wiglaf Droste

„Immer wenn ich Hause komm, / dreht es mir den Magen um. / Lieselott ist müdelein, / will jedoch nicht Betti gehn. / Peterle ist ogilafen, / muss ganz nötig lingelang. / Franzmann schreit, sein Hoppedie / habe hoppeheiter macht. / Grausend wend ich mich zur Kneipe, / ata ata, tinki tinki.“ So eindrucksvoll und nachvollziehbar beschreibt Robert Gernhardts Gedicht „Ein Vater spricht“ die Verzweiflung eines sprachverständigen Erwachsenen, der sich mit regressivem Babysprech konfrontiert sieht.

Wechselt man die Perspektive, verhält es sich umgekehrt: Kleinkinder sind bei der Spracherlernung möglicherweise auf die regressive, singsanghaft vorgetragene Babysprache angewiesen – und darauf, dass die babysprechenden Erwachsenen von ihrem eigenen Heititei nicht depressiv werden. Das fanden Peter S. Kaplan und seine Kollegen von der University of Chicago heraus.

Im Gespräch mit Kleinkindern sprechen viele Erwachsene mit höherer, singender Stimme, Wortschatz und Satzbau sind einfacher als gewöhnlich. So schauderhaft es klingen mag, wenn jemand verzückt „Na du kleines Scheißerchen! Tititititititi!“ flötet, so scheint es leider doch sinnvoll: Kleine Kinder reagieren stärker auf hohe, modulierte Stimmlagen. Babysprache regt Babies an, und in angeregtem Zustand verarbeiten sie Informationen effizienter und vollständiger.

Kaplan und seinen Leuten war aufgefallen, dass bei Standardtests zur Messung der Entwicklung von Kindern der Nachwuchs depressiver Mütter häufig schlechte Ergebnisse erzielt. Ein möglicher Grund könne darin liegen, dass der Sprache depressiver Mütter viele der typischen Babysprachemerkmale fehlen; ihre Stimmen sind flacher und monotoner, und somit fehlen ihnen laut Kaplan „die akustischen Qualitäten, die nötig sind, um die Kinder zu sensibilisieren“. (Child Development, Mai/Juni 1999)

Das klingt so simpel wie wahr: Kinder, die mit der strahlenden Milch glücklicher Kühe aufgezogen werden, haben gute Aussichten, später groß, stark und glücklich zu sein, während ihre Altersgenossen, die mit der schwarzen Milch der Depression vorliebnehmen mussten, sich leicht zu mickrigen, unfrohen Piesepömpeln auswachsen können. Nicht bedacht aber hat die Forschungsgruppe Kaplan, dass die bloße Mutter- oder Vaterschaft als solche schon Grund genug für eine saftige Depression sein kann. Sich selbst beim Verfall zu einem grinslallenden Plapperkopf zuzusehen und-zuhören, kann schwermütig machen – was umso erbitternder ist, als das rücksichtslose Kleinkind davon auch noch profitiert. Hier gehen Regression und Depression eine nahezu unentwirrbare, teuflische Verbindung ein.

Ebenfalls noch weitgehend unerforscht sind die Folgen für die Erwachsenenwelt. Dass aber auf Regression basierendes, mithin grenzdebiles Glück erstrebenswert ist, wird bezweifeln, wer einmal die Vorgänge beobachtet hat, die sich vor und in den Filialen der Imbisskette „Happi-Happi-Grill“ abspielen und vollziehen. Vom abendlichen Alkoholabusus rückstandslos regredierte Männer – die „Happi-Happi-Grill“-Kundschaft ist zu 96 Prozent männlich – schwanken heran. Mattgelb schimmert das „Happi-Happi-Grill“-Signet durch den nächtlichen Dunst; was anderen eine Warnung ist, erscheint den zerrütteten Männern als Rettungsanker. Der Inhalt ihrer Köpfe ist auf ein Wort zusammengeschnurrt: Mama. Da wollen sie hin. Mama aber bedeutet: Erlösung. Manna. Happi-Happi.

So sieht es aus, das ganze Glück der Regression: eine Woge aus Frittenfett, in ihrem Epizentrum ein Mann, der eine Schachtel Pommi mit Ketchi in sich hineinzwängt. Und nicht mehr weiß: Ist das noch ich oder bin ich schon Bratwurst?

Dieser anthropologisch einschneidenden Frage möge sich die Wissenschaft widmen – rasch, bevor es zu spät ist.