Klinkenputzen für ein paar Prozent

Mit Hausbesuchen will Franz Müntefering, NRW-Landeschef und designierter SPD-Generalsekretär, eine weitere Schmach bei den OB-Stichwahlen verhindern. Im Gepäck hat er rote Rosen, Shakehands und den Promi-Effekt  ■   Von Karin Nink

Porta Westfalica (taz) – Rote Ziegeldächer in einer sattgrünen Landschaft, verkehrsberuhigte Straßen und Fachwerkhäuser. Radwege säumen die Durchgangsstraßen. Die Arbeitslosigkeit liegt in Porta Westfalica mit 9,2 Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Es lebt sich gut in dieser westfälischen Idylle. Seit 1973 im Rahmen der Gebietsreform 15 Dörfer zur Stadt Porta Westfalica zusammengefasst wurden, lenken die Sozialdemokraten die Geschicke des 38.000 Einwohner zählenden Erholungsortes. Trefflich, so scheint es.

Und doch hat bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen vor zwei Wochen der CDU-Bürgermeisterkandidat mehr Stimmen bekommen als der SPD-Bewerber Manfred Horter. Deswegen geht es am Sonntag bei der Stichwahl für die Sozen in Porta Westfalica um viel – zumal nicht nur die FDP, sondern möglicherweise auch Grüne den frühpensionierten Stabsfeldwebel und CDU-Fraktionsvorsitzenden Hilmar Wohlgemuth unterstützen. Hilfe tut also not. Und die heißt Franz Müntefering.

Ganz Landeschef und designierter SPD-Generalsekretär, rollt er Mittwochabend mit seinem Tross pünktlich im Stadtteil Hausberge an, um den SPD-Kandidaten vor Ort zu unterstützen. Spontane Hausbesuche – von Müntefering als Therapie für die am Boden zerstörte SPD selbst vorgeschlagen – stehen auf dem Programm.

Nein, Journalistenfragen will er zunächst nicht beantworten. „Das kann man noch machen, wenn es dunkel ist“, stutzt er einen Lokalreporter zurecht. Erst einmal gilt es, so viele Wähler wie möglich zu erreichen. Auf den persönlichen Kontakt „mit den Leuten“ kommt es ihm an diesem Abend an.

In einem Interview hat Müntefering gesagt: „Die wichtigste Aufgabe des Generalsekretärs oder kommissarischen Geschäftsführers ist zu helfen, Vertrauen zu gewinnen und zu sichern.“ Nun will der Westfale auf heimatlichem Terrain das tun, was er in Berlin staatsmännisch angekündigt hat. Deswegen sitzt Müntefering nach einem kurzen Shakehands mit den örtlichen SPD-Größen auch schon wieder in seiner Dienstlimousine. Auf geht's Richtung Neubaugebiet zum Klinkenputzen.

Dort wird das Auto mit dem Berliner Kennzeichen geparkt, und Franz Müntefering läuft los. Beim ersten Gespräch wirkt er noch ein wenig steif – so wie man ihn an den vergangenen Sonntagen nach den Wahlniederlagen in der Berliner Parteizentrale erlebt hat: korrekt, aber angestrengt. Die kritischen Anmerkungen zur Gesundheitsreform des örtlichen Arztes lässt er über sich ergehen. Mit dem Thema ist er offensichtich nicht sonderlich vertraut.

Stattdessen geht es im Laufschritt weiter zur nächsten Haustür. Eine rote Rose für die Dame des Hauses, ein paar nette Worte. Und weiter zum nächsten Klingelknopf. „Hallo, ich bin Franz Müntefering. Sie wissen doch, am Sonntag ist Stichwahl für das Bürgermeisteramt ...“ Dann die Rose, und schon ist er wieder weg. Wer ihn in die gute Stube laden will, dem wird beschieden: „Danke nein. Wir müssen noch 'ne Menge Leute erreichen.“ Müntefering setzt auf den Promi-Effekt. Da geht es nicht um das Diskutieren von politischen Inhalten. Da geht es um den „Sympathiekick, den man hinkriegen muss“.

Je mehr Klingelknöpfe der „General“ drückt und je mehr rote Rosen er verteilt, umso mehr wird aus dem Bundespromi und Landesvorsitzenden der „Münte“ aus Westfalen.

Eben einer von ihnen. Der die Sprache der Leute versteht und spricht. Einer, der es nicht nötig hat, seine Visitenkarte zu zucken, sondern der Rollstuhlfahrerin, die ihn um Hilfe bittet, seine Adresse in der Berliner Parteizentrale auf einen Umschlag kritzelt, damit sie ihm schreiben kann.

Und weil das so ist, kann man ihm auch leicht drohend sagen: „Gewählt haben wir ja immer.“ Was heißen soll, obwohl vieles von dem, was ihr da oben macht, uns nichts bringt, sind wir bisher bei der Stange geblieben, also tut mal wieder was für uns.

Müntefering will in dieser Woche in Nordrhein-Westfalen noch so viele Leute wie möglich persönlich ansprechen. Er weiss schließlich um die positive Wirkung: „Das spricht sich ja rum.“ Die Besuche Münteferings in Porta Westfalica jedenfalls haben nicht nur die Stimmung bei der örtlichen SPD gesteigert, sondern zweifellos auch die Chancen, dass der Genosse Manfred Horter Bürgermeister wird.

Sozialdemokraten anderswo an Rhein und Ruhr brauchen eine ähnliche Therapie. Schließlich muss die SPD im Mai kommenden Jahres nicht eine, sondern letztlich die entscheidende Landtagswahl für die Schröder-Regierung gewinnen. Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Deswegen zählt schon jetzt jeder Ortsverein, jeder Bürgermeister und jeder Wähler.

Darum tourt „Münte“ seit Mittwochmittag durch das Land. Dabei hofft er, auch noch solche erreichen zu können wie den 41-jährigen Monteur aus Hausberge. Der Besuch des SPD-Politikers überrascht, aber beeindruckt ihn nicht. „Wissen Sie“, sagt er zu Müntefering, „ich bin mit der ganzen Bundespolitik nicht so einverstanden.“ Müntefering nickt, will aber die Bundespolitik im Kommunalwahlkampf auf keinen Fall zum Thema machen. Und so kommt mehr als einmal an diesem Abend die ausweichende Anwort: „Dafür kann aber doch Manfred Horter nichts.“

Der Monteur schimpft hinterher: „Die haben doch keine Politik mehr für den kleinen Mann gemacht“, und erwähnt die Benzinpreiserhöhung im Rahmen der Ökosteuer. Jetzt jedenfalls sei es zu spät. „Die wähl' ich erst mal nicht mehr.“

Doch der Enttäuschte war bei der Tour von Müntefering am Mittwochabend eher die Ausnahme. Die meisten Hausbergener waren entzückt, dass ein so bekannterPolitiker sich auf den Weg zu ihnen gemacht hat. „Was wir tun können, das machen wir, damit die SPD gewinnt“, wurde Müntefering versprochen. Und so konnte er, als es dunkel war, zufrieden die Idylle verlassen.