Aus dem Ruder

Hamburgs neuer Literaturclub: „Die Grachten“  ■ Von Georg Felix Harsch

Der Verbindung von Popkultur und Literatur hat sich in Hamburg eine kleine, aber laute Szene verschrieben. Dass dieses Konzept aufgeht, beweist ihr Erfolg: Die bekannten Underground-Literaturveranstaltungen laufen gut, und fast jeden Monat kommt eine neue dazu.

Einer, der bei all dem schon lange mitmischt, ist Iven Fritsche. Einst beteiligt am Laola-Club und bekannt durch seine OK-Radioshow, will er jetzt mit einem Club die Szenerie bereichern. Jeden dritten Dienstag im Monat soll nun im kuscheligen Kinosaal des B-Movies unter dem Titel „Die Grachten“ ein Literaturclub stattfinden. Nach Norwegen – die Liv-Ullmann-Show im Molotow findet am 22. Oktober zum letzten Mal statt – wird damit Holland ein Thema für die hiesige Literatur-Subkultur. Und da nach Ansicht von Fritsche ein neuer Literaturclub ein Thema benötigt, um sich „von den inflationären Literaturclubs dieser Stadt“ abzusetzen, wurde eine Moderation „in vorzüglichem Holländisch“ angekündigt und der niederländische Konsul J.J. de Vries als Sponsor gewonnen. Am Dienstag war Premiere.

Auftreten sollten der Krimiautor Gunter Gerlach, Poetry-Slammerin Tina Uebel, Laolist Michael Weins sowie weitere Spezialgäste aus der Wortszene. Nach der Begrüßung durch die beleidigt-charmante Moderatorin Marijke Malessa, die ein vorzüglich verständliches Niederländisch spricht (sic!), informierte Fritsche sein Publikum zuerst darüber, dass Gunter Gerlach, mit dem er eigentlich einen Sketch hätte aufführen sollen, leider nicht kommen konnte. Den Sketch brachte der Dichter dann alleine hinter sich und präsentierte damit das zweite Thema des Abends: Es ist schön, wenn eine Veranstaltung aus dem Ruder läuft.

Schön, solange die „Grachten“-Hauptakteure das Programm bestritten. Holländischunterricht und Kurzfilm unterhielten gut. Sogar der für Hamburger Literaturclubs anscheinend obligatorische Mann mit Perücke und 60er-Jahre-Kleid (Iven Fritsche als Frau Brombach) hatte seine spaßigen Momente. Unangenehm wurde es aber, als die geladenen Gäste, die tatsächlich erschienen waren, das Ihre zur Abendgestaltung beitragen sollten. Nicht allein wegen des geplant-chaotischen Ablaufs, sondern auch aufgrund der direkten Störungen durch den omnipräsenten Selbstdarsteller und Querulanten Fritsche hatten einzig die eine Chance, deren Texte auf aggressive Performance oder schnelle Lacher ausgelegt waren. Bestehen konnten da lediglich die effektgewandte Tina Uebel und der Comedy-Dichter Thorsten Passfeld, während Prosa anderer Autoren im Tohuwabohu unterging.

Nach der Pause degenerierte der Club zu einer Insider-Veranstaltung, bei der Fritsche und Malessa hilflos auf der Bühne saßen und nur noch erklärten, was eigentlich hätte stattfinden sollen. Da hatten Autoren das von ihnen verlangte „Sperma-Gedicht“ zuhause vergessen, und die Buchvorstellung fiel aus, weil kein Buch da war. Lustig immerhin für die, die den Abend geplant hatten. Einige der Gäste verließen daher auch frühzeitig die Show und bestätigten damit Fritsches Prognose für die weiteren Veranstaltungen: „Die Beteiligung der Autoren wird abnehmen, bis ,Die Grachten' zum ersten literaturfreien Literaturclub werden.“