Schön und obszön

■ Vor 20 Jahren erntete Leon Krier Hohn und Lob für seine Schlachte-Entwürfe. Jetzt zeigt er einige seiner sündhaft teuren Möbel im Wagenfeldhaus und höhnt seinerseits über die neu gestaltete Schlachte und die ganze große Welt

Wagenfeld steht, vereinfacht gesprochen, für den Versuch, alle Menschen mit Schönheit zu versorgen und Kitsch und Krampf auszumerzen. Die Mittel: Massenproduktion und das Diktat der glatten Chromflächen, in denen der Betrachter immer nur sich selbst widergespiegelt findet als wäre er ein Autist. Eine Kultur des Kahlschlags. Die Kultur des Sponserings führt nun zu der höchst delikaten Situation, dass mitten im Tempel der Nüchternheit der Todfeind sich breitmacht. Das Bremer Möbelhaus Koerber holte nämlich den Moderne-Hasser Leon Krier ins Designzentrum. Der träumte 1987 für das seltsame Stuttgarter Galeristenpaar Helga und Hans Jürgen Müller von der perfekten Stadt, Atlantis. Und für die kündigte er sämtliche Bezüge zu allen Jahrhunderten nach Christi Geburt, reanimierte antike Tempel mit dorischen Säulengängen, Kassettendecken und Wehrturmartigem und versteckte Garagen schamhaft. Eine Art regressive Utopie. Zusammen mit Prince Charles entwarf er die schnuckelige Kleinstadt Poundbury, in deren Straßenbild eine Postkutsche nicht weiter auffallen würde. Doch halt, Technikfeind ist Krier nicht. Nur hält er die aktuelle Formensprache für „minderwertig im Vergleich zu der des Autos oder Radios“.

Kriers Teerhof- und Schlachteentwürfe stießen vor 20 Jahren in der Bremer Baudeputation auf Kopfschütteln, erzählt Eberhard Kulenkampff, einst Senatsdirektor im Bauressort. Und Kriers Entwürfe für Berlin wurden (nicht nur) in der taz als „istrische Kleinstadt für den Tegeler Hafen“ in Grund und Boden verspottet. Ziemlich erfolgreich dagegen arbeitet er seit 1991 für den Möbelhersteller Giorgetti nahe Como. Dabei geht es nicht nur um die Rückeroberung traditioneller Formen, sondern auch der dazugehörigen Werte. „Ein Tisch ist ein Mittel, das die Familie und die Freunde versammelt.“ Das Modell „Mensa“, Kirsche, ab 12.000 Mark, wirkt aber eher wie das schwere Möbelelement, hinter dem Orson Welles in „Citizen Kane“ reich, vereinsamt und größenwahnsinnig seine Mitmenschen wie Puppen dirigierte. Die Sessel „Aries“ und „Sella“ lassen schon bei ihrem Anblick die Wirbelsäule zu einer herrschaftlichen Säule erstarren; das mag zu geistiger Klarheit führen, vielleicht aber auch zu Bandscheibenschäden, Humorlosigkeit und Hygieneterror – huch, Kind, mach keine Flecken.

Auch Kriers Gesicht hat keine unschönen Flecken. Sein Profil ähnelt mit dem fließenden Übergang von Stirn zur Nase einer antiken Statue. Oder in seiner Konzentriertheit Arno Brekers Diskuswerfer. 1985 provozierte Krier mit der Publikation eines Bildbands über Albert Speer, eines etwas anders gearteten Totalerneuerers. Vor 20 Jahren, zu Zeiten seines Teerhofkonzepts, setzte Krier noch auf die große Schöpfung des genialen Einzelnen. „Da war ich noch in der Lehre und nietzscheanisch verzweifelt“.

Heute wünscht er sich postmoderne Vielstimmigkeit. Die Grundstruktur eines neuen Stadtteils möge aus einer Hand stammen, die einzelnen „Parzellen“ aber an verschiedene Bauträger und Architekten vergeben werden, „damit widersprüchliche Agenten zum Zuge kommen, arme und reiche, ohne sich gegenseitig zu zerstören. Parzellierung ist die Matrix einer reifen Gesellschaft.“ Doch Wirtschaftsstrukturen, die Monopole begünstigen, behindern dieses Konzept der Kleinteiligkeit. – Na wer dächte da nicht an Zechbau. Ein versöhntes Miteinander also von Arm und Reich. Und Krier hat's dabei mit den Reichen. Der fiktive Besitzer der fiktiven „Villa Strongilo“ auf Korfu etwa genießt einen schweineteuren Promi-Blick über eine menschenleere Bucht. In Kriers Skizze liest er in einem kirchenartigen, locker 10 Meter hohen Monstersaal seine Zeitung, vielleicht über eine Hungerkatastrophe weit weg. Schön und obszön.

Für die Möbel kommen nur Kirschholz, Glas, Leder und edle Stoffe zum Einsatz. Im Unterschied zum WG-erprobten taz-Leser weiß Krier nicht, dass man auch aus Autoreifen, Ziegelsteinen und Alufolie Schönheit zeugen kann. Und so bleibt die Welt der Materialien hierarchisch geordnet. Kriers „Anrichte“ für 13.000 Mark erzwingt förmlich Geschirr für Fünfgängemenüs inklusive aller dazugehörigen Umständlichkeiten. Und eine Ehefrau, die in seinem wuchtigen Ehe-Himmelbett erst einmal feststeckt, wagt niemals, ein eigenes Schlafzimmer einzuklagen, auch wenn der Gatte noch so schnarcht. Also ist Kriers Lieblingsbegriff „Tradition“ so harmlos nicht. Und die klassizistischen Gebäude seiner Kollegen Allen Greenberg, Robert Stern und Quinlan Terry kommen in amerikanischen Regierungskreisen besonders gut an. Trotzdem beeindruckt Kriers Kritik der Moderne. Und der Schlachte: „Dort ist es jetzt lebendig. Die Architektur aber leider noch nicht.“ bk

Bis zum 17. Oktober im Design Zentrum/Wagenfeld Haus zu sehen. Infos unter Tel. 33 88116