Entpolitisierung der Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen

■ Wie muss Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen umgehen? Auf einem Fachseminar wurde versucht, kritisch Bilanz des bisher Erreichten zu ziehen / Kumpel-Pädagogik ist gefährlich, sagt Hochschullehrer Josef Krafeld

Bis gestern trafen sich in der Jugendbildungsstätte LidiceHaus in Bremen-Nord zwanzig Sozialarbeiter aus dem ganzen Bundesgebiet, die mit rechten Jugendlichen arbeiten. Die meisten von ihnen bekennen sich zu dem Ansatz der „akzeptierenden Jugendarbeit“, der von dem Bremer Hochschullehrer Franz Josef Krafeld entwickelt wurde und der immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik steht. Auf der Tagung sollte kritische Bilanz der Arbeit gezogen werden.

taz: Ist die Arbeit mit rechten Jugendlichen gescheitert?

Franz Josef Krafeld, Hochschullehrer: Wir haben bei unserem Treffen gemerkt, dass es nötig ist, klarer zwischen Projekten in den alten und neuen Ländern zu unterscheiden. In Ostdeutschland wird die Arbeit mit rechten Jugendlichen meist ganz selbstverständlich als unpolitische Arbeit gesehen – von den Finanzgebern und Projektträgern, teilweise auch von den Sozialarbeitern selbst. Oft wird das sogar gewollt: Kommunen stellen gezielt Mitarbeiter ein, die sich als unpolitisch verstehen oder fordern, dass sich Mitarbeiter während der Dienstzeit nicht politisch äußern. Projekte mit einer politischen Zielsetzung sind an vielen Orten wieder verschwunden. Wir beobachten, dass sich die Entpolitisierung der Sozialarbeit fortgesetzt hat. Im Osten ist das fast durchgängig der Fall.

Was bedeutet das in der Praxis?

Nicht mehr die politische Orientierung der Jugendlichen wird als problematisch angesehen, sondern allenfalls ihr Gewaltverhalten. In Westdeutschland ist Arbeit mit rechten Cliquen entstanden, weil sich Sozialarbeiter aus unterschiedlichen linken Traditionen mit Rechtsextremismus auseinandergesetzt haben. In Ost und West stehen ganz andere Probleme an.

Welche Bilanz haben Sie denn dabei gezogen?

Wir haben uns gefragt, welche unserer Handlungen positiv gewirkt haben und welche fehlschlugen. Wir haben uns überlegt, was unsere Einmischung bei der Ideologiebildung, dem Gewaltverhalten und der Organisierungsbereitschaft bringt. Und wir sind immer wieder auf einen Punkt zurückgekommen: Es ist entscheidend, nicht nur mit einer pädagogischen Zielsetzung und Motivation an die Arbeit heranzugehen, sondern auch mit einer politischen. Und diese politische Position muss offensiv gegenüber den Jugendlichen vertreten werden. Gerade in Ostdeutschland erleben wir es häufig, dass die pädagogische Arbeit auf Kumpelpädagogik verkürzt wird, wo man irgendwann nicht mehr wagt, sich kritisch auseinanderzusetzen, weil man Angst hat, das Vertrauensverhältnis zu beschädigen.

Und zweitens geht es darum, sich nicht mit der Sozialarbeit ausnutzen zu lassen. Eine Kollegin hat es gestern ganz deutlich formuliert. Sie sagte, es ginge immer wieder darum, einen Deal mit den Jugendlichen zu machen: Eine Änderung des Gewaltverhaltens oder der politischen Orientierung wird „eingetauscht“ gegen die Hilfe für die Jugendlichen, mit ihrem Leben besser klar zu kommen. Wenn ein Jugendlicher nur Hilfe bei der Wohnungs- oder Berufssuche haben will, aber sonst in Ruhe gelassen werden will – dann muss man ihm eventuell sagen, er soll sich seine Hilfe bei den Nationaldemokraten oder sonstwo holen.

Dem Ansatz der „akzeptierenden Jugendarbeit“ wird vorgeworfen, sich für die Interessen der Rechten instrumentalisieren zu lassen. Wie also muss sich diese Form der Sozialarbeit neu orientieren?

Von dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit bin ich nach wie vor überzeugt. Man kann die Jugendlichen nur da abholen, wo sie sind. Das heißt nicht, dass ich akzeptiere, dass sie so bleiben, wie sie sind. Grundlegendes pädagogisches Ziel ist es, sie mit anderen Wertvorstellungen und Mustern zu konfrontieren.

Ich halte es für schlimm, was – besonders im Osten – teilweise unter diesem Etikett verkauft wird. Die Grundsätze, die wir vor Jahren formuliert haben, haben immer noch ihre Gültigkeit. Wir machen leider die Beobachtung: Je weniger eine Auseinandersetzung der Sozialarbeiter mit dem stattfindet, was sie tun, desto mehr wird das mit dem Begriff der Akzeptanz kaschiert. Aber das Konzept an sich ist nicht gescheitert. Dennoch muss es weitergedacht werden, das ist klar.

Und wie könnte das Konzept weitergedacht werden?

Wir haben das Konzept in Westdeutschland entwickelt und die Meinung vertreten, dass die Jugendlichen Raum brauchen, um sich auszuleben, weil sie ohnehin ausgegrenzt werden. Die Jugendlichen sollten Akzeptanz bekommen, weil das eine Grundlage für persönliche Veränderungsprozesse ist. Im Osten aber haben wir eine andere Situation: In vielen Regionen haben die Rechten eine Hegemonie, sie werden also nicht ausgegrenzt.

Dann muss darum gekämpft werden, dieses Monopol zu brechen. Andere Gruppen müssen gestärkt werden. Gerade im Osten aber ist es oft hanebüchen, wie schlecht Sozialarbeiter für ihre Arbeit qualifiziert sind und wie sie in ihrer Arbeit betreut und unterstützt werden. Auch unter Sozialarbeitern ist es keine Selbstverständlichkeit mehr: Rechte haben in der Arbeit mit rechten Jugendlichen nichts zu suchen.

Fragen: Christoph Dowe