Bauern pfeifen auf die Regierung

Gestern demonstrierten in Warschau tausende Landwirte gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung. Gewalttätige Zusammenstöße blieben aus  ■   Aus Warschau Gabriele Lesser

Warschau hatte sich auf die größte Bauerndemonstration aller Zeiten gefasst gemacht: 100.000 Landwirte wollten gestern in der Hauptstadt Polens gegen die Wirtschaftspolitik der Mitte-rechts-Regierung protestieren. Doch es kamen nur rund 30.000 bis 40.000. Der Grund: Nicht nur viele Warschauer befürchteten einen „schwarzen Freitag“ mit Verletzten, zerstörten Läden und Autos, sondern auch die Bauern selbst. Bei der letzten Demonstration im nordpolnischen Bartoszyce/Bartenstein hatten sie 80 Polizisten so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten. Die Angst vor einer weiteren Eskalation hatte die Warschauer bewogen, die Innenstadt zu meiden. In quasi sonntäglicher Ruhe, begleitet von 12.000 Polizisten, zog der dennoch riesige Demonstrationszug mit Pfiffen durch die Stadt.

Angeführt wurde er von dem radikalen Bauernführer Andrzej Lepper. Er ist populärer als Ministerpräsident Jerzy Buzek und strebt die politische Macht an. Allein in diesem Jahr hat seine Organisation „Samoobrona/Selbstverteidigung“ mit über 3.000 Straßenblockaden und mehreren Demonstrationen gegen die Regierung und insbesondere Finanzminister Leszek Balcerowcz protestiert.

Die Bauern fordern staatliche Preisgarantien für Getreide, Raps, Milch und Schweinefleisch, außerdem Importverbote für ausländische Lebensmittel oder hohe Zölle, die den einheimischen Markt vor der Überschwemmung mit Billigprodukten aus der EU schützen. Andrzej Lepper aber reicht das nicht. Er strebt nicht nur eine Änderung der Politik an, sondern des ganzen Systems. Sein Programm trägt den Titel: „Der dritte Weg“ und orientiert sich stark an China. Dort werde die Wirtschaft so privatisiert, dass die Unternehmen in nationaler Hand blieben. Die Ausländer könnten Aktienbeteiligungen nur bis 49 Prozent erwerben, sodass die Kontrolle über die Wirtschaft und das Kapital im Lande bleibe.

Lepper fürchtet insbesondere den Ausverkauf des Landes an die Deutschen. Sie stellen heute den größten Handelspartner Polens und haben vor kurzem Amerika als führenden Investor eingeholt. Für Lepper ist dies weder ein Erfolg noch ein Zeichen dafür, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sich weitgehend normal entwickeln. Er meint: „Was Bismarck und Hitler mit Gewalt nicht geschafft haben, wird den Deutschen jetzt mit Samthandschuhen gereicht: Polen.“

Leppers Organisation ist innerhalb von acht Jahren auf eine halbe Million Mitglieder angewachsen. Doch für politische Furore sorgt sie erst seit knapp zwei Jahren. Längst schon gilt der Landwirt nicht nur den Bauern als Anwalt der Armen und Unzufriedenen. Im Oktober will er offiziell die Gründung eines „national-völkischen Blocks“ verkünden, in den neben der Samoobrona die linke Gewerkschaftsorganisation OPZZ sowie einige von der Solidarnosc abgesplitterte Gewerkschaften eintreten wollen. Dieser Block, so schwebt es Lepper vor, soll mit der Bauernpartei bei den nächsten Wahlen antreten. Fänden die am Sonntag statt, käme die Samobrona mit sechs Prozent in den Sejm. In Koalition mit der Bauernpartei könnte sie den Beitritt Polens zur EU nachhaltig bremsen.

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