Psychedelisches Rokoko

■ Anton Henning zeigt in der Galerie Wohnmaschine Strandbilder, verknäulte Geschichten und minimalistische Möbelstücke

Schön, dass man durch die Schaufensterscheiben nicht hindurchsehen kann. Ansonsten wäre der Überraschungsmoment kleiner: Im ersten Raum der Galerie Wohnmaschine hat sich Anton Henning der Decke angenommen und sie bemalt. Damit man sich das bunte Deckengemälde in aller Ruhe anschauen kann, steht darunter ein minimalistisches Möbelstück. Ein weißer Kasten, der leuchtet und damit zugleich als Deckenfluter dient, mit einer Polsterschicht aus gelbgrünlichem Gel in Plastik.

Darauf liegt man sehr bequem. Mit in „aller Ruhe“ ist dass aber so eine Sache. Denn Ruhe gönnt Anton Henning dem Auge nicht. Vielen überdimensionalen Wollknäueln gleich winden sich überall verschieden farbige Stränge, nehmen Kurven, bilden Schleifen, kreuzen und über- oder unterlagern sich. Das lässt sich aber nicht ausmachen, soviel man auch schaut. Die Details rutschen weg. Die Orientierung geht verloren. Man kann Anton Hennigs Arbeit eben nicht auf einmal, sondern nur Stück für Stück visuell erfassen.

Einmal gefragt, ob seine Bilder auch eine Geschichte erzählen, antwortete Anton Henning: „Ja, sie erzählen autobiografische Geschichten. Ich bin aber kein langer Geschichtenerzähler, sondern ich deute gern.“ Seine Geschichten hat er als eine Art Ballspiel beschrieben, bei dem jeder einen Schläger in der Hand hat und man sich den Ball zuschlägt. „Vielleicht sind meine Geschichten aber auch eine Schlaufe und gehen dahin, wo sie angefangen haben.“

Ähnlich dürfte es sich mit dem extremen Querformat im hinteren Raum der Galerie verhalten. Auf sieben mal einen Meter zeigt der 35-Jährige ein Strandbild ganz in Altrosa gehalten. Wieder tastet das Auge Zentimeter für Zentimeter des Bildes ab, setzt einem Puzzle gleich die Details zum Ganzen zusammen. Man registriert die vielen Autos am Strand, die Menschen, die Strandgemäßes tun und Zelte aufbauen, im Sand buddeln, in der Sonne liegen oder surfen.

Und weil Anton Henning auch einer ist, der gern mit Täuschung und Verdoppelung arbeitet, laufen im Kellerraum zwei Videos. Das eine zeigt „Elf psychedelische Rokokostücke“. Das sind nichts anderes als elf verschiedene Kamerafahrten entlang der bunten Schlangenlinien im Deckengemälde. Was das eigene Auge nicht schafft, ermöglicht das Objektiv. Die Kamera sucht und findet, behält sozusagen den Anschluss und übernimmt damit die Funktion des suchenden Blicks, während man selbst auf den Monitor starrt. Der andere Schirm zeigt einen breiten Strand, das offensichtliche Vorbild für das große Strandpanorama. Die Filmbilder wirken seltsam leblos. Entweder liegen die Leute faul im Sand oder gucken in Richtung der Kamera. Da ist ja am gemalten Strand mehr los. Und wieder sieht man die vielen Autos im Sand. Die Menschen machen es sich direkt neben ihren Fahrzeugen bequem. Typisch Amis, denkt man. Bis Galerist Friedrich Loock aufklärt, dass das Video in Dänemark entstand. Andreas Hergeth

Bis 10. 10., Di – Fr 14 – 19, Sa 12 –17 Uhr, Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 35