Trügerische neue Ordnung in Yei

In der Hauptstadt des „Neuen Sudan“ hat die Guerillaorganisation SPLA das Sagen. Märkte voller Waren, Gärten voller Blumen. Doch die Minister bleiben im Exil. Und die Bevölkerung stimmt mit den Füßen ab    ■ Aus Yei Peter Böhm

Der erste Eindruck macht staunen. Als die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) im März 1997 Sudans Regierungsarmee aus Yei vertrieb, der Stadt rund 70 km nördlich der Grenze zu Uganda, stand hier kaum mehr ein Stein auf dem anderen. Baumaterialien waren von den Regierungssoldaten für den Ausbau ihrer Stellungen verwendet worden, Wellblechdächer, Maschinen und Möbel hatten sie verschachert. Doch nun wirkt die Stadt lebendig.

Es gibt Cafés und Bars. Auf dem Markt kann man vieles kaufen – wenn es auch viel teuer ist als in Uganda, woher die Waren kommen. Im Kreisverkehr stehen sauber lackierte Inseln mit der Aufschrift „Rechts halten“, auch wenn hier nur jede Stunde ein Auto vorbeikommt. In den Gärten der grasgedeckten Häuser wurden sogar – für Afrika völlig unüblich – Blumen gepflanzt.

Doch wenn man etwas an der Oberfläche kratzt, wird schnell deutlich, dass der Firnis sehr dünn ist. Auf die Frage, wie viele Menschen im Bezirk Yei lebten, ruft der Verwaltungsdirektor David A. Moses seinen Bürodiener in seine mit einem Schreibtisch und zwei Stühlen möblierte Amtsstube. Der fängt geschäftig in ein paar Ordnern im Regal zu suchen an, kann das Dokument aber nicht finden. Beim nächsten Besuch, zwei Stunden später, hat er es dann griffbereit: „Die Schätzung beläuft sich auf 200.000 bis 300.000.“

„Ich bin schon 68“, sagt Moses entschuldigend, „aber wir haben so wenige ausgebildete Verwaltungskräfte, dass ich wohl noch eine Weile werde arbeiten müssen.“ Die Administration reiche bis zur Dorfebene, erklärt er, um dann im nächsten Satz einzuräumen, dass es dort schwierig sei, Abgaben einzutreiben. „Es gibt nicht genügend Geld, und die Steuern müssen deshalb in Naturalien eingesammelt werden, in Form von zwei 20-Liter-Gefäßen Sorghum oder von Gemüse, um die Armee zu ernähren.“

Ein Angestellter der Stadtverwaltung räumt später ein, Yei habe im Augenblick nur rund 7.000 Bewohner. „Vorher waren es 20.000.“ Doch die Menschen stimmen mit den Füßen ab.

Viele Flüchtlinge aus dieser Region leben noch in Lagern in Uganda und der Demokratischen Republik Kongo, oder sie sind wieder dorthin zurückgekehrt, nachdem sie hier vergeblich einen Neuanfang versucht haben. Die Bombardements der Regierungsflugzeuge allein können nicht der Grund dafür sein, denn die Flucht ist sehr schwierig. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht.

Dass viele Flüchtlinge noch nicht zurückgekehrt sind, ist eine moralische Niederlage für die SPLA. Die Rebellenorganisation ist ohnehin notorisch für ihren Mangel an Erfolgen. Eine zivile Verwaltung begann sie erst 1995 aufzubauen, und das, wie Kenner in Nairobi behaupten, nur auf Druck der USA – dabei hat der Krieg gegen die Regierung schon 1983 begonnen. Yei wurde wegen der Nähe zur ugandischen Grenze zur „Hauptstadt“ und damit zum Regierungssitz des „Neuen Sudan“ erklärt, wie die SPLA die von ihr kontrollierten Gebiete nennt.

Doch die vom SPLA-Chef John Garang ernannten Minister zeigen sich hier so gut wie nie. In den ugandischen und kenianischen Hauptstädten Kampala und Nairobi lebt es sich halt doch ein bisschen besser.

Die Soldaten selbst wirken auch nicht viel besser. Als es auf dem Markt zu einem Gerangel kommt und der Berichterstatter unbemerkt vorbeigehen möchte, hält ihn der SPLA-Vertreter, der Journalisten auf Schritt und Tritt begleitet, mit den Worten zurück: „Vorsicht, das sind Soldaten!“

„Vor zwei Monaten wurden hier drei Soldaten öffentlich hingerichtet“, berichtet eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die nicht namentlich genannt werden will. „Seitdem ist es viel, viel besser geworden. Vorher haben sie sich gegenseitig mit Handgranaten beworfen.“ Doch in derselben Woche werden eine Frau und ein Mann mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Kommen sie von der Front? „Nein“, sagt ein Krankenpfleger. „Die haben getrunken und gefeiert, und dann ist ein Gewehr losgegangen.“