Verzweifelt persönlich

■ Der Tausendsassa, Gelegenheits-Hitschreiber und Veganer Moby ist mit seinem Eklektizismus in den 90ern angekommen

Die erste Platte, die sich Richard Melville Hall gekauft hat, war The Message von Grandmaster Flash, zusammen mit einer Single von Minor Threat. Das bedeutet nicht nur maximale Punktzahl für Coolness und Früherkennung – HipHop und Hardcore, ein (linker) politischer Anspruch im Denken und Sprechen sind bis zum heutigen Tag seine Koordinaten. Wenn auch nicht im musikalischen Material. Dazu fehlt in dieser signifikanten Diskographie ein Tonträger, der 1981 wahrscheinlich von Jean-Michel Jarre gekomen wäre.

Mobys Musik erdet sich in einem ungebrochenen Hang zum Mainstream. Radio ist seine Informationsquelle. Das Moby heute machen kann, was er will, begründet sich in zwei Alben und einer Handvoll Singles, die sich ohne Probleme in den technoiden Mainstream der frühen Neunziger eingefügt haben: melodiöse Bedürfnisbefriedigung ohne subtile Ecken und Kanten. 18 Jahre nach dem Erstkonsum und acht Jahre nach seinem künstlerischen Einstand, einer trancigen Rhythmisierung der Twin Peaks-Erkennungsmelodie hat Moby eine „fake-Austrian-New-Wave-Band“ namens Schaumgummi, und eine seiner liebsten Definitionen von Spaß ist die Engtanzparty, die er und ein Freund alle sechs Wochen organisieren. Da gibt es nur große Gefühle: Roxy Musics „Avalon“,Simply Reds „If You Don't Know Me By Now“, Marvin Gayes „Let's Get On“. Darüberhinaus spielt Moby Drums in einer „schrecklichen Punk-Band, die einmal im Jahr probt“.

Auf der kreativen Seite macht er sich das Leben nicht unnnötig schwer, das aber, ohne Teil einer Strömung zu sein. Auch die Goa-Trance-Ecke, in die man ihn aufgrund seiner Kombination aus ökologischem Aktivismus und ambientem Kitsch stecken könnte, ist nur ein Apsekt. Mobys Unabhängigkeit resultiert aus seiner Bedürfnislosigkeit. „Ich brauche nicht viel“, spricht er leise und betont. „Ich habe noch nich tmal einen Führerschein. All meine Klamotten sind second-hand. Ich habe keine Uhr. Keinen Schmuck.“ Weswegen der Künstler, dem alle kreativen Abgründe zuzutrauen wären, sich auch in keine geplanten Szenarien hineinkompromitieren lässt. Alle Anfragen nach hitpotentiellen Kooperationen werden abgelehnt. Sein Geld ist sein ganz individueller Ausdruckskitsch. „Nicht spezifisch, eher metaphorisch, aber sehr persönlich. Verzweifelt persönlich.“

Damit ist der expressive Veganer nach Blaupausen von Trance, Punkrock und Ambient nun auch in den späten 90ern angekommen, vereint alle Elemente „under a groove“ und gibt ihnen Tiefe und Transzendenz durch gesampelten Gospel. Play heißt dieser selbstgebastelte Eklektizismus, der sich weitaus straighter und eingängiger formuliert, als die divergierenden Koordinaten diese vermuten ließen. Das Mitteilungsbedürfnis machts – Gefühligkeit statt Verfeinerung, rennen, weg und hin – und treibt ihn auf der Bühne zu bemerkenswerten Höchstleistungen.

Hier wird der Kitsch zu Sport, und gemeinsam mit seinen gemieteten Zuarbeitern beschwört der Spieler das Chaos. „Da passieren magische Sachen. Auch schreckliche Sachen, aber zumindest unterhaltsam schrecklich.“

Holger in't Veld

So, 3. Oktober, Markthalle, 21 Uhr