Klau im Sci-Fi-Supermarkt

■ Oberflächlich: Myra Çakans Roman „When the music's over“

In ihrem Roman-Erstling When the music's over beschreibt Myra Çakan die Welt des 21. Jahrhunderts, und die ist ganz schön düster: Es herrschen Umweltkatastrophen (Hamburg und Holland sind wegen des Treibhauseffekts überschwemmt), und die Menschen leiden an einer Krankheit, die schlicht „Die Krankheit“ genannt und durch Viren in genetisch manipulierten Lebensmitteln übertragen wird. Im ersten Kapitel trifft man auf die Eskimofrau Skadi, die man sich gut als Björk in ihrem Video Army of me vorstellen kann. Sie ist von Grönland nach Hamburg gekommen, um „die größte Party des Jahrhunderts“ zu erleben, trifft aber erst mal auf ein paar „irre“ Menschen, die „eurisch“ sprechen. Durch Zufall trifft Skadie auf Garfield, einen kleinen Waisenjungen, der sich brüderlich zu ihr hingezogen fühlt und sie fortan begleitet.

In den folgenden Kapiteln tauchen noch einige andere merkwürdige Wesen auf, wie zum Beispiel Sunshine, die Anführerin der Tunnelsoldaten, die wie Tank-Girl aussieht – „selbstgemachte schwarze Runen-Tattoos“ und Rattenschädelketten sind noch gar nichts – und sich den Hacker Wiesel, der eine Cyber3-Console besitzt, zum Liebhaber genommen hat. Oder auch die Musiker der ehemals erfolgreichen Band Bladerunner, deren Sänger Blue jegliches Klischee des depressiven Popstars erfüllt – nicht umsonst ist der Buchtitel einem Song der Doors entliehen. Der Leser befindet sich im dichtesten Schneetreiben, und es prasseln Unmengen an nicht neuen Ideen auf ihn ein, die alle keinen Spaß machen.

Seltsam: Mitten im 21. Jahrhundert tauchen plötzlich das Jugendamt, ABBA und eine Falafel-Bude auf und stören die Cyber-Dynamik enorm. Der Science-Fiction-Supermarkt, aus dem auch Matrix gespeist wurde – unglaubliche und unzählige Action-Szenen, hauchdünne Plots, ein paar gutaussehende Darsteller –, wird rege frequentiert. Die Biographie von Wiesel lässt ahnen, dass Myra Çakan beim Schreiben des Buches noch stark unter dem Eindruck des Films Das Fest stand; die Art der Kapitelstrukturierung lehnt sich stark an Sibylle Bergs Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot an; die Alien-Rauschmittel Sklak ist wohl eine Hommage an „Spice“, die Droge aus Der Wüstenplanet. Und ein bisschen Sampling von Bladerunner und Soilent Green und natürlich des großartigen Neuromancer von William Gibson (1984) ist auch dabei.

Das Buchinfo verspricht „fulminante Cyberpunk-Action voller Rocklyrik und bittersüßer Legenden“. Dem entspricht die von der Hamburger Autorin verwendete schnörkellose Jugendsprache voller Hass und oberflächlicher Visionen tatsächlich. When the music's over ist wie ein schnell geschnittenes Musikvideo, leicht konsumierbar und daher sicherlich erfolgreich. Barbara Schulz

„Party zum Weltuntergang“, Myra Çakan liest aus „When the music's over“, die „E-Babes“ legen Musik auf, heute, 21 Uhr, Molotow